Augsburg
Der Augsburger Tierhag
Schon ab 1902 hatte es in Augsburg einen kleinen Tiergarten mit Bären, Affen und ein paar Vögeln gegeben, der als Vorläufer einer im Jahre 1936 angelegten und im Jahr darauf feierlich eröffneten „Hegestätte deutscher Tierwelt“ gilt. Die zeitgeistig auch als „Tierhag“ bezeichnete Anlage erfuhr ausdrückliche Förderung durch den seinerzeitigen bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert (NSDAP), der den hohen Propagandawert eines „deutschen Tiergartens“ erkannte, der ausschließlich mit Wölfen, Bären, Wisenten und sonstig als „deutsch“ geltenden Tieren besetzt war. Weiterführende Pläne, auf dem Gelände des Tierhag einen idealisierten „deutschen Bauernhof“ zu errichten, in dem „deutsche Haus- und Nutztiere“ zu sehen sein würden, wurden nicht mehr umgesetzt. Im Krieg wurden die Gehegeeinrichtungen fast völlig zerstört, kaum eines der Tiere überlebte.
Während große Teile Augsburgs noch in Schutt und Asche lagen, wurde bereits mit dem Wiederaufbau des Tiergartens begonnen. Schon 1946 konnte wiedereröffnet werden. Anstelle der „deutschen“ Tiere wurden nunmehr zootypische Exoten gezeigt, die der Münchner Tierpark Hellabrunn zur Verfügung stellte, der kaum Kriegsschäden davongetragen hatte.
Ab 1952 übernahm die Stadt Augsburg die Leitung des Zoos (wofür später eine eigene gGmbH begründet wurde, die zu 99,7 Prozent in Händen der Stadt liegt und von dieser jährlich mit einem siebenstelligen Betrag subventioniert wird). Die Unterstützung, die der Zoo seit je durch die lokale und regionale Wirtschaft erfährt, wird seit 1995 über einen „Freundeskreis des Augsburger Zoo e.V.“ gebündelt. dessen einziges Satzungsziel darin liegt, den „Augsburger Zoo ideell und finanziell zu fördern“.
Auf einer Fläche von 22 Hektar hält der Zoo heute etwa 1.500 Tiere aus 250 Arten vor; mit angeblich 600.000 Besuchern pro Jahr zählt er, eigener Bewerbung zufolge, zu den „meistbesuchten Ausflugszielen Bayerisch-Schwabens“. Als Schwerpunkt der Tierhaltung gilt die „Fauna Afrikas“.
Für Kinder wird ein großzügig angelegter Abenteuerspielplatz samt eigenem „Zoobähnle“ vorgehalten, dazu ein „Streichelgehege“ mit Zwergziegen sowie die Möglichkeit, „Ponykutschfahrten“ zu unternehmen (bis 2009 konnte man auch auf einem Elefanten durch den Zoo reiten). Selbstredend werden Kindergeburtstage ausgerichtet und zahlreiche Sonderveranstaltungen angeboten („Am Ostersonntag hoppelt der Osterhase durch den Zoo und verteilt bunte Ostereier“). Während der Adventszeit wird im Raubkatzenhaus eine „exotische“ Weihnachtskrippe aufgebaut, bei der neben Ochs‘ und Esel auch ein Nashorn, ein Emu sowie ein saurierähnliches Schuppentier um das Jesukindlein herumstehen; über dem Stall schwebt der Weihnachtsengel. Im Sheridan-Ranking europäischer Zoos von 2011 landete Augsburg unter den 80 bewerteten Zoos in der Kategorie „Bildung, Natur- und Artenschutz“ auf Rang 67.
Heruntergekommenes Schimpansenhaus
Im Jahre 2012 feierte der Zoo Augsburg sein 75jähriges Bestehen. Obgleich im Vorfeld des Jubiläumsjahres eine Menge Geld für Um- und Neubauten in die Hand genommen wurde – mit Millionenaufwand wurden neue Anlagen u.a. für Seehunde, Nashörner, Paviane und Kattas errichtet –, entsprechen viele der Anlagen keineswegs den Vorgaben des neuen Säugetiergutachtens; streckenweise werden noch nicht einmal die Maßgaben der Weltzooorganisation (WAZA) erfüllt, denen der Zoo als ordentliches Mitglied verpflichtet zu sein vorgibt.
Das 1984 errichtete sogenannte „Menschenaffenhaus“, in dem derzeit drei Schimpansen untergebracht sind – einer davon als Kleinkind seiner westafrikanischen Heimat entrissen -, wurde offenbar noch nie einer Instandsetzung unterzogen. Die Schimpansen teilen sich den heruntergekommenen Bau mit zwei Elefanten, einigen Plumploris und Rüsselspringern sowie verschiedenen Kröten-, Frosch- und Basiliskenarten. (Bis Ende 2011 waren auf dem extrem beengten Raum sogar vier Elefanten gehalten worden; erst nachdem eines der Tiere einen Pfleger schwer verletzte - in der völlig veralteten Anlage gab und gibt es keine Sicherheitsgitter –, wurden zwei davon an den holländischen Zoo Rhenen abgegeben. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass im Zoo Augsburg die Elefanten bis heute mit tierquälerischen Elefantenhaken, auch Bullhooks oder Ankusha genannt, unter Kontrolle gehalten werden.)
Gegenüber der zum Besuchergang hin offenen Elefantenabteilung befindet sich das über großflächige Sicherheitsglasscheiben abgetrennte Schimpansengehege. Der bunkerartige Innenraum weist eine Grundfläche von etwa 80qm und eine Höhe von 5m auf. Über zwei vergitterte und verdreckte Oberlichten erhält er etwas Tageslicht, ansonsten ist er mit Neonröhren erhellt. Die Seiten- und Rückwände sind in Felsoptik gehalten, einen Blick ins Freie gibt es nicht. Das Gehege ist mit einem Totholzklettergerüst, einer Hängematte sowie ein paar aufgehängten Seilen und Feuerwehrschläuchen ausgestattet. An Spiel- und Beschäftigungsmaterial stand den Tieren bei unseren Besuchen einmal ein Plastikeimer und ein Rupfensack, ein anderesmal ein ausrangierter Gummistiefel zur Verfügung; ein aufgestellter Futter-/Labyrinthkasten war bei keinem unserer Besuche befüllt. Das Gehege macht einen extrem heruntergekommenen, „versifften“ Eindruck, die drei Schimpansen hockten während unserer Besuche die meiste Zeit apathisch herum. Das vielzitierte Leitmotiv des Augsburger Zoos - „Tiere erleben wie sie wirklich sind!“ – erscheint gerade angesichts der Unterbringung der Schimpansen als hochgradig zynisch; zumal im hauseigenen „Zooführer“ auch noch ausdrücklich auf die enge Verwandtschaft zwischen Mensch und Schimpanse hingewiesen wird.
Das etwa 500qm umfassende neue Außengehege der Schimpansen, das sie bei entsprechender Witterung stundenweise aufsuchen dürfen, ist umlaufend mit 6m hohen Panzerglaspaneelen umgeben, nach oben hin ist es offen. Es weist Natur- bzw. Grasboden auf, zentral ist ein hölzernes Klettergerüst installiert. Weitere Spiel- oder Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es nicht, ebensowenig Sichtblenden, Rückzugs- oder Versteckmöglichkeiten.
In den offiziellen Verlautbarungen des Zoos wird die NS-Gründungsgeschichte durchgehend verschwiegen (wohingegen buchstäblich jedes exotische Tier ausführlichst erörtert wird, das seit dem ausgehenden Mittelalter in der Handelsstadt Augsburg zu sehen war; auch auf die „Errichtung des ersten Bürgerzoos der deutschen Geschichte“ durch den Augsburger Patrizier Johann Jakob Fugger Mitte des 16. Jahrhunderts wird wortreich verwiesen. Von den Interessen, die die Nationalsozialisten mit der Einrichtung des Augsburger Zoos verfolgten, erfährt man nichts. Auch in der „Jubiläumszeitung“ zum 75jährigen Bestehen des Zoos ist mit keinem Wort davon die Rede.
African Village
Im Jahre 2005 geriet dem Zoo eine seiner Sonderveranstaltungen zum totalen Desaster: Zoodirektorin Barbara Jantschke, seit Kurzem erst im Amt (in Nachfolge eines gewissen Dr. Gorgas, der immer wieder in die Zookasse gegriffen hatte), war auf die Idee gekommen, als Besuchermagnet ein „Afrikanisches Dorf“ (African Village) in ihrem Zoo entstehen zu lassen. Vier Tage lang sollten schwarzafrikanische „Silberschmiede, Korbflechter und Zöpfchenflechter“ ihre Handwerkskünste präsentieren und zusammen mit „Informationen über die vielfältige afrikanische Kultur und Natur“ die Reiselust der Besucher wecken (als Mitveranstalter firmierte ein örtliches Reisebüro).
Allein schon die Ankündigung zeitigte enorme Resonanz, es hagelte Kritik von allen Seiten. Selbst dem Zoo wohlgesonnene Medienvertreter drängten Jantschke, die Veranstaltung abzusagen, die unweigerlich Assoziationen hervorrufe mit jenen finstersten Zeiten, in denen in deutschen Zoos sogenannte „Völkerschauen“ veranstaltet wurden. Bekanntlich hatte der Hamburger Tierhändler und Impresario Carl Hagenbeck seit 1874 „wilde Menschen“ zur Schau gestellt, auch in seinem 1907 eröffneten Tierpark in Stellingen fanden regelmäßig entsprechende Vorführungen statt, bei denen „originale“ Nubier, Somalier oder „Buschmänner aus Deutsch-Ostafrika“ präsentiert wurden. Bald hatte es derartige „Völkerschauen“ - im Volksmund „Neger-“ oder „Hottentottenschauen“ genannt - auch in den Zoos von Dresden, Leipzig, Frankfurt, Hannover, Köln und Münster gegeben.
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) wandte sich in einem Schreiben an Jantschke entschieden gegen die „Reproduktion kolonialer Blickverhältnisse, in denen schwarze Menschen als exotische Objekte“ dargestellt werden. Massive Kritik kam auch vom Nord-Süd-Forum, von Ecoterra International und zahlreichen anderen Menschenrechtsorganisationen. Wissenschaftler und Kulturschaffende aus aller Welt überfluteten den Zoo nachgerade mit Protestmails. Auch die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer drückte ihre tiefe Sorge aus.
Zoodirektorin Jantschke hingegen zeigte sich von der anbrandenden Kritik gänzlich unbeeindruckt: „Man muss doch mal sagen, gut, das ist passiert vor 80 Jahren, aber jetzt kann man so etwas wieder völlig unbedarft anbieten.“ Schließlich sei das keine Völkerschau, wie damals bei Hagenbeck: „Da kommen Afrikaner, die können mit den Kindern ganz normal reden.“ Die Veranstaltung abzusagen komme überhaupt nicht in Frage.
Das „African Village“ fand ungeachtet aller Proteste und wie geplant statt. Auch wenn es sich letztlich in nichts von all den Afrikamärkten und Afrikafestivals unterschied, die ständig irgendwo im Lande stattfinden, blieb es doch, wenngleich auf anderer Ebene als befürchtet, Skandal: in der Tat muß die bornierte Ignoranz einer Zoodirektorin als nichts weniger denn skandalös gewertet werden, mit der sie notorisch die Assoziationen übersah oder nicht sehen wollte, die solches Projekt bei jedem halbwegs kritischen Menschen freisetzen musste, ebenso wie die blasierte (und zoodirektorentypische) Unbelehrbarkeit, mit der sie sich über jeden kritischen Einwand hinwegsetzte.
Colin Goldner
Tierbefreiung #86, April 2015