Hiasl (VgT)

Eine Erweiterung der Gattung Mensch: Das Sachwalterverfahren für den Schimpansen Hiasl

 

Interview mit Eberhard Theuer

 

Im Jahre 2007 wurde in Österreich ein Verfahren um die Rechte und den Personenstatus des Schimpansen Matthias Pan, genannt Hiasl, angestrengt, der im Wiener Tierschutzhaus lebt. Haben Schimpansen Rechte? Können sie als Personen angesehen werden? Oder sogar als eine Art der Gattung Mensch? Das Magazin "Tierbefreiung" interviewte Eberhart Theuer, den im Hiasl-Prozess - dem weltweit ersten Prozess seiner Art - federführenden Juristen.

 

Frage: Vielen Dank für Ihre Einwilligung in das Interview. Wer ist das eigentlich, dieser Hiasl?


Theuer: Hiasl ist ein etwa 28 Jahre alter Schimpanse, der als einjähriges Kind aus der afrikanischen Wildnis Sierra Leones entführt und nach Österreich verschleppt wurde. Hiasls Mutter wurde wahrscheinlich vor seinen Augen getötet. In Österreich sollte Hiasl in einem Versuchslabor für ein Pharmaunternehmen enden. Die Tierschutz- bzw. Tierrechtsbewegung machte mobil, und es kam zu einer juristischen und politischen Auseinandersetzung, bis das Pharmaunternehmen schließlich auf- und Hiasl sowie die anderen Versuchsschimpansen freigab. Zunächst wuchs Hiasl bei einer menschlichen Pflegefamilie auf, bis er schließlich im Wiener Tierschutzhaus eine dauerhafte Unterkunft fand. Dort steht ihm ein Bereich zur Verfügung, der zwar in keinster Weise an seine natürliche Umgebung in Afrika heranreicht, aber den Umständen entsprechend als erträglich bezeichnet werden muss.

 

Frage: Wie kam es zu diesem in etlichen Medien bereits erwähnten Prozess um die Frage, ob Hiasl eine Person ist?


Theuer: Das Tierschutzhaus, in dem neben Hiasl noch eine Schimpansin – Rosi – untergebracht ist, war Anfang 2007 kurz vor dem Konkurs. Es war klar: Wenn einmal der Konkursverwalter die Leitung übernimmt, würden die Interessen von Hiasl und Rosi kaum eine Rolle spielen. Ein Konkursverwalter hat den gesetzlichen Auftrag, die Konkursmasse möglichst gewinnbringend zu verwalten, um die Gläubiger mit einer möglichst hohen Quote befriedigen zu können. Hiasl und Rosi kosten viel im Unterhalt und bringen dem Tierschutzhaus kein Geld. Es bestand die Gefahr, dass sie ins Ausland verkauft würden, womöglich an einen Zirkus oder ein Versuchslabor. Oder dass sie aus Kostengründen getötet werden. Zwar besteht glücklicherweise in Österreich ein Versuchsverbot für Menschenaffen. Aber das Tierschutzgesetz verbietet weder den Verkauf, noch die Tötung von Menschenaffen aus wirtschaftlichen Gründen. Solange Hiasl und Rosi als Tiere angesehen werden, bietet das Tierschutzgesetz keinen Schutz. Was also tun? Wir hatten uns schon vor vielen Jahren aufgrund neuerer Erkenntnisse über Schimpansen darüber Gedanken gemacht, dass sie wegen ihrer engen Verwandtschaft mit dem Homo sapiens und wegen ihrer erstaunlichen kognitiven Fähigkeiten bereits nach geltendem Recht als Personen eingestuft werden müssten bzw. zumindest im Analogieschluss die grundlegendsten Rechte zugesprochen bekommen sollten. Aktuellere Forschungsergebnisse bestätigten das. Als die finanzielle Krise des Tierschutzhauses Hiasls Existenz bedrohte, war für uns die Zeit, diese bis dahin theoretischen Überlegungen für die Praxis nutzbar zu machen. Wir wollten mit einem gerichtlichen Verfahren Hiasls Existenz sichern und gleichzeitig einen Präzedenzfall schaffen, der für alle Schimpansen in Österreich und für ganz Europa Vorbildwirkung hat.

 

Frage: Hätte es nicht ausgereicht, für Hiasl Spenden zu sammeln?


Theuer: Solange Hiasl nicht als Person anerkannt ist, sondern rechtlich als Tier angesehen wird, kann er auch kein Eigentum erwerben, also auch keine Spenden erhalten. Im Gegenteil: Er ist jemandes Eigentum, im Konkursfall Teil der Konkursmasse. Natürlich kann man an das Tierschutzhaus Geld spenden, mit dem Ersuchen, es für Hiasl zu verwenden. Ist es aber in Konkurs, fallen auch diese Spenden in die Konkursmasse und dienen dazu, Gläubiger zu befriedigen, und nicht dazu, Hiasl zu helfen. Der einzige Weg, Hiasls Existenz rechtlich abzusichern, war also, ihm dazu zu verhelfen, dass er als Rechtssubjekt, als Träger von Rechten – mithin rechtlich als Person – anerkannt wird.

 

Frage: Wie geht es dem Tierschutzhaus zur Zeit? Und gibt es noch andere Schimpansen, die in Österreich leben?


Theuer: Außer Rosi und Hiasl im Tierschutzhaus, befinden sich noch rund 40 Schimpansen im ehemaligen Safaripark Gänserndorf. Während sich die finanzielle Situation des Tierschutzhauses etwas verbessert hat und der Konkurs bis jetzt abgewendet werden konnte, befindet sich Gänserndorf mittlerweile in Konkurs, und den dortigen Schimpansen droht ebenfalls die Gefahr des Verkaufs oder der Tötung. Der Fall Hiasl ist damit für alle in Österreich lebenden Schimpansen von existenzieller Bedeutung.

 

Frage: Wird für diese Schimpansen auch ein Prozess geführt?


Theuer: Derzeit nicht. Wir halten es für sinnvoll, zunächst einmal den Ausgang des Hiasl-Verfahrens abzuwarten und dann allenfalls weitere Schritte zu überlegen.

 

Frage: Was sind Ihre wichtigsten Argumente, zu behaupten, ein Schimpanse sei eine Person oder gar ein Mensch?


Theuer: Ausgangspunkt war eine urphilosophische Frage, die ich mir aus rechtlicher Sicht stellte: Was ist der Mensch? Lässt sich in irgendwelchen Gesetzen eine Definition dafür finden? Oder liefert unser Recht vielleicht eine Beschreibung des Begriffs „Person“? Mit moderneren Datenbanken kann man die zigtausend Gesetzesbestimmungen gut durchforsten. In unzähligen Paragraphen werden die Begriffe „Mensch“ und „Person“ verwendet – definiert werden sie nicht. Und unter der Bibliotheken füllenden juristischen Literatur findet sich kaum eine Randnotiz, was ein Mensch oder ein Person eigentlich sei. Vielleicht, dachte ich mir, geht das Recht einfach davon aus, dass jeder gleichsam prima facie (lat.: „auf den ersten Blick“) erkennt, was ein Mensch ist und dass sich deshalb jegliche Definition erübrigt. Natürlich: Im Normalfall ist das auch so. Aber immer? Ich habe mir lebensecht wirkende wissenschaftliche Rekonstruktionen von Vorfahren des Homo sapiens angesehen. Manche davon werden als Menschen eingestuft, andere nicht. Welches Wesen Mensch ist und welches nicht, lässt sich nicht erkennen. Ich habe mir viele Bilder von Menschenaffen angesehen: Gorillababys, die auf den ersten Blick wie Menschenbabys wirken. Wenig behaarte Menschenaffen, die wie Urmenschen scheinen. Und dann habe ich noch etwas entdeckt: Alle Merkmale, auf die wir achten, um Menschen von Tieren zu unterscheiden – Fell, Schweif, Gang auf allen Vieren, tierische Laute und tierliches Betragen – kommt in Einzelfällen auch bei Menschen vor, beispielsweise im Fall von Atavismen. Es war für mich klar: Nicht immer lässt sich prima facie erkennen, was ein Mensch ist. Eine Definition erübrigt sich also nicht. Auf der Suche nach einer solchen stieß ich auf § 16 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB). Der besagt, dass jeder Mensch angeborene Rechte hat und daher als Person zu betrachten ist. Das ist noch keine Definition von „Mensch“ oder „Person“, aber ein Hinweis auf das Verhältnis dieser beiden Kategorien zueinander: Jeder Mensch ist also automatisch Person. Kann aber nur der Mensch rechtlich eine Person sein? Wer ein paar Vorlesungen in Recht gehört hat, weiß: Es gibt auch juristische Personen, Vereine beispielsweise, Gesellschaften oder bloße Vermögensmassen wie Fonds, die subjektive Rechte haben. Der Personenbegriff ist also nicht notwendigerweise auf den Menschen beschränkt, auch andere natürliche Personen sind denkbar.

 

Frage: Das liefert allerdings noch keine Definition des Begriffs „Person“?


Theuer: Nicht unmittelbar. § 16 ABGB stammt aus dem Jahre 1811, der Zeit als Aufklärung und Menschenrechtsidee in Gesetzen ihren Niederschlag fanden. Zeiller, der Schöpfer des ABGB, beschreibt eine Person als vernünftig handelndes, planendes Wesen. Man beachte: Er verwendet den Begriff „Wesen“, nicht „Mensch“! Sein Hinweis auf die Vernunft zeigt deutlich die ideengeschichtliche Nähe zu Kant, der die Vernunft des Menschen in ihrer spezifischen Form der Autonomie ins Zentrum seines Personenbegriffs stellte. Freilich setzt Kants Autonomiebegriff sehr hoch an: Er versteht Autonomie wörtlich: auto (selbst) und nomos (Gesetz) im Sinne von „sich selbst das Gesetz gebend“. Autonom nach Kant ist also, wer ethisch richtiges Handeln erkennen und sich insofern selbst ein Sittengesetz geben kann. Mein Befund ist freilich, dass dieser hochgestochene Autonomiebegriff sich ideengeschichtlich nur in sehr abgeschwächter Form auf die Gesetzgeber ausgewirkt hat, schon deshalb, weil sich, legte man bei Menschen den Autonomiebegriff Kants zugrunde, Gesetze, die Menschen ja zu halbwegs moralischem Handeln verhalten sollen, erübrigen würden. Es würde ohnehin jeder aufgrund seiner Vernunft das Richtige erkennen. Die Autonomie des § 16 ABGB ist also eher im heutigen Sinne zu verstehen, das heißt als die Fähigkeit, verschiedene Handlungsoptionen erkennen und zwischen diesen wählen zu können. Ich denke, man könnte höchstens sagen, dass ein Mindestmaß an moralischen Konzepten Voraussetzung für Autonomie ist, aber sicher keine Maximen bildende Ethik. Wendet man diese Definition – „Person“ ist ein vernunftbegabtes, autonomes Wesen – auf Schimpansen an, so stellt man fest: Die besitzen Vernunft und Autonomie. Die besitzen eine „Theory of Mind“1 und sogar rudimentäre moralische Konzepte.2 Sie können kausal, zukunftsgerichtet, planerisch und in Alternativen denken. Strategisch, wenn es gilt, Ziele zu verwirklichen, altruistisch und empathisch, wenn es gilt, anderen zu helfen, aber auch machiavellistisch, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Den Personentest nach § 16 ABGB bestehen Schimpansen. Und damit war die Subsumption vollzogen: Schimpansen sind Personen im rechtlichen Sinne – zumindest die grundlegendsten Rechte stehen ihnen zu.

 

Frage: Wie steht es nun mit der Zuweisung des Begriffs „Mensch“?


Theuer: Hier bestimmt § 16, dass jeder Mensch automatisch Person ist und daher Rechte hat. Damit soll klargestellt werden, dass beispielsweise auch Kinder und geistig Behinderte selbstverständlich Rechte haben und Personen sind. Daraus folgt aber, dass es anders als bei der vorhin angesprochenen eigenständigen Definition von Person, auf bestimmte kognitive Fähigkeiten nicht ankommen kann. Wer kein Mensch ist, kann Person sein, wenn er die kognitiven Voraussetzungen dazu hat. Wer aber Mensch ist, ist bereits kraft seines Menschseins Person – auf Fähigkeiten kommt es dabei nicht an. Es reicht die Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht. Damit ist letztlich eine Verwandtschaftsnähe, eine biologische Kategorie angesprochen. Ich musste also herausfinden: Wie wird der Mensch biologisch definiert? Und hier ergibt sich, dass Homo sapiens zwar eine Art bezeichnet, das Wort „Homo“ in Homo sapiens aber eine größere biologische Kategorie, die Gattung. Biologisch sind Menschen also diejenigen Individuen, die der Gattung Homo, also der Gattung Mensch angehören. Es stellt sich also nur mehr die Frage, in welche biologische Kategorie der Schimpanse einzuordnen ist.

 

Frage: Kann man die Definitionen von „Mensch“ und „Person“ juristisch nicht so ansetzen, dass der Homo sapiens sie gerade erfüllt, der Schimpanse aber nicht mehr?


Theuer: Das ist gar nicht so leicht. Es gibt beispielsweise kognitive Aufgaben, etwa Gedächtnistests, in denen Schimpansen besser sind als der Homo sapiens. Aber wenn man es darauf anlegt, wird es wohl immer möglich sein, sich die Definitionen so zurechtzuzimmern, dass sie nur auf den Homo sapiens passen. Doch auch dann wären die Schimpansen nicht weit weg vom Person- oder Menschsein, sondern sehr knapp dran. Und man muss sich fragen, ob sie dann noch als paradigmatisches und damit rechtloses Tier im Sinne der Rechtsordnung angesehen werden können. Ich denke nicht. Man muss eine Gesetzeslücke konstatieren, in der sich Schimpansen befinden: noch nicht Person, aber auch nicht mehr Tier. Es ist eine ungeplante Lücke, vergleichbar mit dem Fall, dass plötzlich ein bisher unbekanntes, menschenähnliches, vernunftbegabtes Wesen entdeckt wird. Nach der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre muss eine solche Lücke durch Analogie geschlossen werden. Das Ergebnis wäre, dass Schimpansen zumindest die grundlegendsten Rechte zustehen. Ich finde allerdings, dass es des Analogieschlusses gar nicht bedarf, sondern dass ein Personenbegriff, der Schimpansen ausschließt, vielmehr eine unzulässige „teleologische Reduktion“ ist, weil die Voraussetzungen dafür fehlen. 3

 

Frage: Wie kamen Sie auf die Idee, für Hiasl gerade ein Sachwalterschaftsverfahren zu führen?


Theuer: Wir haben uns überlegt: Wie können wir noch vor einem allfälligen Verkauf oder gar einer Entscheidung über die Tötung von Hiasl rechtsverbindlich feststellen lassen, dass Hiasl eine Person ist bzw. Rechte hat? Wie in wohl den meisten Rechtsordnungen existiert nach österreichischem Recht kein eigenes Verfahren, in dem geprüft und festgestellt wird, ob ein Individuum eine Person ist. Andererseits wäre Hiasl – selbst dann, wenn er als Person anerkannt ist – nicht in der Lage, alle seine Angelegenheiten selbst wahrzunehmen, sich beispielsweise rechtlich gegen seinen „Verkauf“ zu wehren oder Spendengelder zu verwalten. Er bräuchte also einen offiziell anerkannten Vertreter. Wir benötigten also ein Verfahren, durch das Hiasl sowohl als Person anerkannt wird, als auch einen Vertreter zur Seite gestellt bekommt. Das ist das sogenannte Sachwalterschaftsverfahren.

 

Frage: Was genau sind Sachwalter?

 

Theuer: Sachwalter nach österreichischem Recht sind vom Gericht bestellte Personen, die jene rechtlichen Agenden wahrnehmen, die der Besachwalterte nicht selbst wahrnehmen kann. In Deutschland werden sie als rechtliche Betreuer bezeichnet. Sie sind vergleichbar mit einem Vormund für Kinder.


Frage: Nun zum Prozess. Wie begann er?


Theuer: Als erstes stellten wir einen Antrag beim zuständigen Bezirksgericht Mödling, dass Matthias Pan, genannt Hiasl, einen Sachwalter benötige. Die Abkürzung Hiasl steht für Matthias. Den Nachnamen Pan habe ich aus dem lateinischen Namen für Schimpansen abgeleitet. Dass es sich bei Hiasl um einen Schimpansen handelte, erwähnten wir in diesem Antrag nicht eigens.

 

Frage: Warum wurde das nicht erwähnt?


Theuer: Wir haben zunächst nur die für die Ingangsetzung eines solchen Verfahrens essentiellen Informationen geliefert: Matthias Pan braucht einen Sachwalter. Dass Matthias Pan ein wenig anders ist als die durchschnittliche Partei eines Sachwalterverfahrens, wollten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht offenbaren. Wir wollten damit verhindern, dass das Gericht das Verfahren sofort, also ohne Verhandlung oder weitere Erhebungen, einstellt. Die zuständige Richterin war allerdings, vermutlich aufgrund von Hiasls Adresse, misstrauisch geworden. Sie hinterließ Martin Balluch, der formal als Antragsteller auftrat, eine Nachricht, ob es sich dabei um einen verfrühten Aprilscherz handle, und wenn nicht, dass sie dies für keine gute Idee halte. Es war für uns Zeit, Phase 2 einzuleiten. In einem über fünfzigseitigen Schriftsatz, der hunderte Beweise und Belegstellen enthielt, legte ich dar, dass Hiasl bereits nach der geltenden Rechtslage – zumindest im Analogieschluss – als Person zu betrachten ist und ihm grundlegendste Rechte, wie die auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit, zukommen. Untermauert wurden diese Argumente mit drei Gutachten vier renommierter Wissenschafterinnen und Wissenschafter: Prof. Volker Sommer, Anthropologe, Dr. Signe Preuschoft, Primatologin, Prof. Eva-Maria Mayer, Rechtsphilosophin, sowie Prof. Stefan Hammer, Ordinarius für öffentliches Recht. Das Gericht reagierte mit einem Schreiben, das zeigte, wie unsicher es sich war, die Situation einzuschätzen: Es behauptete – ohne nähere Begründung – es könne unseren Antrag nicht behandeln, da ihm Mängel anhaften würden. Uns wurde die Möglichkeit geboten, vor Gericht zu erscheinen, um diese Mängel zu beheben. Als geeignetster Termin wurde der Faschingsdienstag vorgeschlagen, unter dem Hinweis, dass große Tiere aber außerhalb des Gerichtsgebäudes bleiben müssten. Als wir dann tatsächlich bei Gericht erschienen, war der Richterin allerdings nicht mehr zum Scherzen zumute. Trocken verlangte sie Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis und Meldezettel von Hiasl. Für mich war das ein zu erwartender bürokratischer Reflex der Richterin auf eine für sie völlig unerwartete, nie dagewesene Situation. Ich verfasste einen neuen Schriftsatz, in dem ich darauf hinwies, dass die Bestellung eines Sachwalters nicht von der Existenz von Papieren abhängen könne und bot für den Identitätsnachweis Hiasls Dokumente und Zeugen an. Das Gericht musste diese Argumente akzeptieren. Die bürokratische Schlacht war zu unseren Gunsten ausgegangen. Martin setzte mit einem persönlichen, direkt an die Richterin adressierten Schreiben nach, indem er seine Freundschaft zu Hiasl schilderte und auf die Ernsthaftigkeit der Situation hinwies.

 

Frage: Wie war dann die Entscheidung?


Theuer: Das Gericht entschied, für Hiasl keinen Sachwalter zu bestellen, weil er diesen nicht benötige. Ihm drohe ohne Sachwalterbestellung keinerlei Gefahr. Daher brauche die akademisch interessante Frage, ob er eine Person sei, hier nicht beantwortet zu werden. Das ist bemerkenswert: Das Gericht hat nicht festgestellt, dass Hiasl keine Person ist oder keinerlei Rechte hat. Es hielt es ganz offensichtlich für möglich, dass es sich bei Hiasl um eine Person handelt, sonst hätte es die zweite Frage, ob er einen Sachwalter braucht, gar nicht beantworten müssen, sondern gleich sagen können: Er ist keine Person, braucht deshalb keinen Sachwalter. Immerhin hatten wir es geschafft, das Bezirksgericht von einer völlig ablehnenden Haltung zu einer Auffassung zu bringen, wonach es möglich wäre, dass Hiasl eine Person ist.

 

Frage: Wie war Ihre Reaktion auf diese Entscheidung?


Theuer: Die Entscheidung wurde vom Gericht nicht formal als Beschluss bezeichnet, was eigentlich die korrekte Vorgehensweise gewesen wäre. Offenbar versuchte das Gericht damit zu verhindern, dass wir in die nächste Instanz gehen. Jetzt mussten wir im Rahmen unserer Berufung (des sogenannten Rekurses) noch zusätzlich argumentieren, dass es sich bei der gerichtlichen Entscheidung tatsächlich um einen Beschluss gehandelt hat.

 

Frage: Zu lesen war: Es gab wegen des Verfahrens auch eine Anzeige an die Anwaltskammer?


Theuer: Ja. Zwar habe ich die Schriftsätze verfasst, der Rechtsanwalt Stefan Traxler hat diese aber formal beim Bezirksgericht Mödling, in dessen Sprengel er auch seinen Kanzleisitz hat, eingebracht. Der Gerichtsvorsteher rief Rechtsanwalt Traxler an und drohte, ihn wegen mangelnder Achtung des Gerichts und standeswidrigen Verhaltens bei der Anwaltskammer anzuzeigen, wenn er seinen Antrag für Hiasl nicht bis 18 Uhr zurückzieht. So eine Anzeige kann existenzbedrohend sein, weil sie zur Folge haben kann, dass einem Anwalt die Berufsausübung verboten wird. Der Anwalt Traxler sagte: „Sie brauchen nicht bis 18 Uhr zu warten, Sie können mich auch gleich anzeigen.. Ich ziehe den Antrag sicher nicht zurück.“ Es kam tatsächlich zur angedrohten Anzeige. Die Anwaltskammer entschied aber, dass unsere Rechtsauffassung, Hiasl sei eine Person bzw. habe Rechte, vertretbar sei. Das Verfahren gegen Rechtsanwalt Traxler wurde daher eingestellt. Die Rechtsanwaltskammer stellte übrigens bei der Gelegenheit auch fest, dass sich das Gericht hätte ausführlicher mit unseren Argumenten auseinandersetzen müssen. Die Anzeige ist zwar ein rechtsstaatlicher Skandal, hat aber unsere Position letztlich nur gestärkt. Jetzt haben wir eine offizielle Bestätigung der Österreichischen Anwaltskammer, dass unsere Argumente im Fall Hiasl vertretbar sind.

 

Frage: Wurde dem Rekurs, also der Berufung gegen die Entscheidung des Bezirksgerichts, vom übergeordneten Gericht stattgegeben?


Theuer: Zunächst entschied skurriler Weise noch einmal das Erstgericht über die Berufung gegen seinen eigenen Beschluss. Eigentlich wäre aber das Gericht zweiter Instanz, das Landesgericht Wiener Neustadt, zuständig gewesen.

 

Frage: Wie konnte es dazu kommen? Oder sollen wir angesichts des in jüngster Zeit etwas auffällig gewordenen österreichischen Rechtswesens besser nicht fragen?


Theuer: Ich nehme an, das Erstgericht war so sehr bestrebt, zu vermeiden, dass ein übergeordnetes Gericht in diesem ihm unangenehmen Fall entscheidet, dass es rechtlich einfach irrte und glaubte, es könne selbst über die Berufung entscheiden. Die diesbezüglichen Gesetzesbestimmungen sind zwar eindeutig, aber man kann sie durchaus auch falsch verstehen.

 

Frage: War sich das Gericht möglicherweise bewusst, dass es eigentlich falsch entschied, hoffte aber, Sie würden es nicht merken?


Theuer: Auch diese Möglichkeit kann ich nicht ausschließen. Aber eigentlich hätte das Gericht wissen müssen, dass wir juristisch zu gut sind, als dass man uns so etwas vormachen könnte. Jedenfalls hat das Erstgericht die Berufung gegen seine eigene Entscheidung natürlich als unzulässig erklärt, da Dr. Balluch, der ja formal den Antrag auf Sachwalterschaft für Hiasl gestellt hatte, nicht Betroffener sei, also nicht der sei, für den ein Sachwalter bestellt werden soll und daher nicht rekurslegitimiert sei, also kein Rechtsmittel ergreifen könne. Wir erhoben dagegen neuerlich Rekurs, also Berufung, und machten unter anderem darauf aufmerksam, dass nicht das Erstgericht, sondern das nächsthöhere, das Landesgericht Wiener Neustadt, über die Berufung entscheiden müsse. Dies tat das Landesgericht dann auch und gab uns insofern Recht. Auch dieses Gericht sagte nicht, Hiasl sei keine Person oder habe keine Rechte, sondern versuchte zu argumentieren, dass eine Berufung gar nicht möglich sei.

 

Frage: Wie kam das Gericht zu dieser Auffassung?


Theuer: Es stützte sich auf den § 127 Außerstreitgesetz. Dieser bezieht sich aber auf den Fall, dass ein Sachwalter bestellt wurde. Das ist ja bei Hiasl gerade nicht passiert. Wir haben also auch gegen die Entscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt ein Rechtsmittel eingelegt, den sogenannten Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof (OGH), das Höchstgericht für Zivil- und Strafsachen in Österreich.

 

Frage: Und ab da gab es dann die vielen öffentlichen Reaktionen?


Theuer: Viele österreichische und internationale Medien berichteten über den Fall, darunter alle österreichischen Tageszeitungen, internationale Medien wie die New York Times oder BBC. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hatte durch seinen Pressesprecher im Fernsehen ausrichten lassen, er würde diesen Fall durchaus ernst nehmen. Leider hat sich der OGH um eine inhaltliche Entscheidung gedrückt. Zwar hat uns der OGH Recht darin gegeben, dass § 127 Außerstreitgesetz nicht anzuwenden ist, aber er hat dennoch ein Berufungsrecht unsererseits abgelehnt. Das ist schade, weil der OGH in seiner bisherigen Rechtsprechung durchaus Ansätze gezeigt hat, in speziellen Fällen auch Angehörige als rechtsmittellegitimiert zu betrachten. Dieser Grundsatz sollte auch für Freunde gelten, die sich um den zu Besachwalternden kümmern.


Frage: Müsste man in einem Rechtsstaat eigentlich nicht immer das Recht haben, gegen gerichtliche Entscheidungen berufen zu dürfen?


Theuer: Sollte man meinen. Gerade im Sachwalterverfahren ist die Rechtslage allerdings etwas komplizierter: Der Hauptfall von Sachwalterbestellungen sind Menschen, die aufgrund geistiger Beeinträchtigung oder aufgrund ihres Alters bestimmte Rechtsgeschäfte nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen oder überblicken können, beispielsweise die Beauftragung von Handwerkern. Häufig stellen Verwandte dieser Menschen Anträge, dass ein Sachwalter bestellt werden soll. Nicht immer ist die Motivation dahinter altruistisch. Es kommt vor, dass die Nachkommen und potentiellen Erben der Ansicht sind, der Großvater würde beispielsweise sein Vermögen verschleudern und ihn deshalb besachwaltern lassen wollen. Solchen Menschen wollte man keine Parteistellung im Verfahren und auch kein Recht einräumen, gegen Entscheidungen zu berufen. Das ist verständlich. Davon zu unterscheiden sind Fälle, in denen der Betroffen ein Interesse hat, dass ihm ein Sachwalter zur Seite gestellt wird, aber nicht selbst in der Lage ist, einen Antrag stellen oder Berufung erheben zu können. Wenn dann das Gericht, obwohl ein Sachwalter erforderlich wäre, keinen Sachwalter bestellt, muss es jemanden geben, der die gerichtliche Entscheidung im Interesse der Betroffenen bekämpfen kann. Leider sah der OGH das anders. Das ist nicht nur schade für unseren Fall, sondern auch für andere Personen, die einen Sachwalter benötigen. Das Gute: Auch der OGH hat sich offenbar nicht in der Lage gesehen, unsere Argumente, dass Hiasl Rechte hat, zu entkräften. Kein Wunder, wenn man an die drei Gutachten von Universitätsprofessoren und die hunderte Beweise und Belegstellen denkt, die wir gebracht haben. Dazu, Hiasl als Person anzuerkennen, konnte sich der OGH aber nicht durchringen. Lieber hat er sich mit komplexen verfahrenstechnischen Fragen der Parteistellung und Rechtsmittellegitimation abgemüht und sogar in Kauf genommen, rechtlich höchst problematische Positionen einzunehmen.

 

Frage: Was erhoffen Sie sich nun von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte?


Theuer: Erfahrungsgemäß entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) weniger formalistisch als österreichische Gerichte. Ich hoffe daher, dass er sich mit dem Thema als solchem inhaltlich auseinander setzt: Personenstatus und subjektive Rechte von Schimpansen.

 

Frage: Ist nicht auch hier zu erwarten, dass der EGMR die Angelegenheit mit dem Argument zurückweist, Sie hätten keine Parteistellung oder kein Beschwerderecht?


Theuer: Die Gefahr besteht, aber es gibt Fälle, in denen der EGMR Beschwerden zugelassen hat, obwohl kein gesetzlicher oder gewillkürter, also durch den Betroffenen ausdrücklich bestimmter Vertreter, sondern ein Freund oder Betreuer die Beschwerde führte. Der EGMR sagt also: Wenn jemand nicht selbst Beschwerde erheben kann und niemand gesetzlich bestimmt ist, der es für ihn tun könnte, dann darf ein Freund dieser Person, jemand der sich um ihn kümmert, Beschwerde erheben. Im Fall Hiasl ist das Paula Stibbe, die ihn und Rosi seit vielen Jahren kennt, sich intensiv mit beiden beschäftigt, und die wir auch als Sachwalterin beantragt haben.

 

Frage: Was würde es bedeuten, wenn der EGMR nun entscheidet, dass Hiasl eine Person ist?


Theuer: Es würde die Existenz, Freiheit und körperliche Unversehrtheit von Schimpansen in allen 47 Staaten der Europäischen Menschenrechtskonvention sichern. Und es hätte natürlich auch Präzedenzwirkung auf den Rest der Welt. Es würde auch bedeuten, dass an der bisher als gültig angesehenen Speziesgrenze gerüttelt wird. Das ist mehr als „Rattling the Cage“4. Es ordnet die Rechtsposition einer Spezies völlig neu, die bisher unreflektiert juristisch als Tier und damit als rechtlos eingestuft wurde.

 

Frage: Und wenn der EGMR gegen den Personenstatus von Hiasl entscheidet?


Theuer: Auch dann werden wir ein Stück weiter gekommen sein auf dem Weg zu Rechten für Menschenaffen. Schon jetzt hat der Fall Hiasl eine enorme Medienreaktion hervorgerufen und fand in weiterer Folge in den akademischen und rechtswissenschaftlichen Diskurs Eingang. Beispielsweise gab es eine Podiumsdiskussion zu dem Thema, organisiert vom Ethikinstitut der Universität Wien. Die konservative Tageszeitung „Die Presse“ lädt regelmäßig zu hochkarätig besetzten Podiumsdiskussionen zu rechtlichen Fragestellungen, die vornehmlich Juristen ansprechen sollen. Da geht es meist um Bereiche wie Steuer- oder Wirtschaftsrecht. Als Reaktion auf den Hiasl-Fall veranstaltete sie eine Podiumsdiskussion über „Rechte für Menschenaffen“ – im exklusiven Ambiente des Dachgeschosses der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, mit Universitätsprofessoren und Spitzenjuristen als Diskutanten und anschließendem Buffet. Dass in solchen Runden über Rechte für Menschenaffen und in weiterer Folge über Tierrechte gesprochen wird, wäre vor dem Hiasl-Fall undenkbar gewesen. In allen Tageszeitungen war plötzlich der Begriff Tierrechte zu lesen. Ich denke nicht, dass die Zeitungen dieses Wort vor dem Hiasl-Prozess überhaupt gekannt oder verwendet hatten. Wenn sich nun der EGMR in einem Urteil mit dem Thema befasst, wird das öffentliche und akademische Echo noch wesentlich gewaltiger sein. Und dann werden auch jene Stimmen Gehör finden, welche die Personeneigenschaft von Menschenaffen erkennen.

 

Frage: Was aus Ihrer Sicht ist besonders faszinierend an diesem bislang außergewöhnlichen Fall?


Theuer: Das faszinierende sind die zahlreichen Schnittstellen, an denen sich dieser Fall befindet. Zum einen an der Schnittstelle von Theorie und Praxis. Es ist selten, dass theoretische juristische Überlegungen so große praktische Auswirkungen haben. Dann befindet er sich in der Schnittmenge gleich mehrerer Wissenschaftsdisziplinen: Rechtswissenschaft, Philosophie, Biologie, Anthropologie, um nur die wesentlichsten zu nennen. Das bedeutete für mich, dass ich mir auch den aktuellen einschlägigen Forschungsstand dieser Gebiete aneignen musste. Die Tatsache, dass ich mich bereits mit Philosophie, Biologie, Menschenaffen und Hominidenevolution beschäftigt hatte, kam mir dabei zugute. Und die Gutachten waren natürlich ungemein hilfreich. Die dritte Schnittmenge, die zu wenig erkannt wird, ist jene zwischen Tierrechten und Menschenrechten. Der Fall wird in der Öffentlichkeit und auch von vielen Tierrechtlern als Tierrechtsfall wahrgenommen. Das ist er insofern, als ein Wesen, das bisher als Tier angesehen wurde, nun Rechte bekommen soll. Dadurch aber, dass dieses Wesen über das Argument seiner Personeneigenschaft und in Anwendung – zumindest in analoger Anwendung – der basalsten Grund- und Menschenrechte zu seinen Rechten kommen soll, wird der Fall eigentlich zum Menschenrechtsfall. Es ist, wenn man so will, ein nur scheinbarer Tierrechtsfall und ein tatsächlicher Menschenrechtsfall. Das kommt mir durchaus gelegen, da ich auf den Bereich der Grund- und Menschenrechte spezialisiert bin. Es geht um eine moderne Sicht der Grundrechte auf Basis ihres historischen rechtsphilosophischen Geltungsgrundes, um einen Paradigmenwechsel ihrer Anwendung.

 

Frage: Setzen Sie Menschen und Schimpansen gleich?


Theuer: Nein. Wir argumentieren nicht, dass Schimpanse und Homo sapiens dasselbe sind. Ich sage bewusst „Schimpanse und Homo sapiens“, nicht „Schimpanse und Mensch“. Während Schimpanse und Homo sapiens biologisch Artbegriffe sind, ist Mensch ein Gattungsbegriff, das heißt, er umfasst mehrere Arten. Der Homo sapiens ist nur eine Art der Gattung Homo, also der Gattung Mensch. Der Neandertaler war beispielsweise eine andere Art der Gattung Mensch. Ebenso der Mensch von Flores, der noch vor rund 12.000 Jahren lebte. Bislang dachten wir, wir – im Sinne von Homo sapiens – seien die letzte noch lebende Art der Gattung Mensch. Mittlerweile wissen wir, dass noch eine andere Art überlebt hat. Aufgrund der engen Verwandtschaft haben Wissenschafter den Schimpansen in die Gattung Homo, also die Gattung Mensch eingestuft. Dies ist eines unserer Argumente: Der Schimpanse und der Homo sapiens sind zwei unterschiedliche Arten, aber sie gehören beide zur Gattung Mensch.

 

Frage: Fordern Sie die vollen Menschenrechte für Schimpansen?


Theuer: Zunächst ist zu betonen, dass wir ja keine politischen Forderungen stellen, sondern juristische Argumente bringen. Natürlich können dadurch politische Forderungen transportiert werden. Unsere Argumentationsweise im Verfahren ist aber rein rechtlich. Man kann, je nach Rechtsordnung und Zählweise, etwa 50 verschiedene Grundrechte unterscheiden, darunter beispielsweise das Recht auf Eheschließung, auf Religionsfreiheit, das Recht, Gewerkschaften zu bilden, oder das Wahlrecht. Diese Rechte sind für Schimpansen nicht von Bedeutung. Entscheidend ist das Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit, sowie die damit zusammenhängenden Verfahrensrechte, wozu auch das Recht auf einen Vertreter zählt. Es geht also um die aller grundlegendsten Rechte. In unserer Gesellschaft kommt noch das Recht auf Eigentum hinzu, da es notwendig ist für eine sichere Existenz – man denke an das Problem mit den Spenden und dem möglichen Konkurs des Tierschutzhauses.

 

Frage: Den Schimpansen zum Menschen erklären -– würde das nicht die Grenze zwischen Mensch und Tier, die „„anthropologische Differenz“„ verstärken? Der Schimpanse, der noch am menschenähnlichsten ist, fällt „„den Ttieren“„ weg, wenn er zum Menschen erklärt wird. Warum nicht weiterhin Schimpanse und Homo sapiens zur Gattung der (Großen) Menschenaffen zählen?

 

Theuer: Schimpanse und Homo sapiens zählen nach derzeit anerkannter Systematik nicht zur Gattung, sondern zur Familie der Menschenaffen. Familie (lat.: familia ist die biologische Kategorie über der Gattung. Entscheidend für den Fall Hiasl ist, dass „Mensch“ ein Gattungsbegriff ist und nicht ein Artbegriff und dass nach neueren Erkenntnissen sowohl der Homo sapiens, als auch der Schimpanse zur Gattung Homo, also zur Gattung Mensch zählen. Es ist hier wichtig, die Begriffe scharf zu unterscheiden. „Mensch“ im Sinne des Homo sapiens ist nicht das gleiche wie „Mensch“ im Sinne der Gattung Homo. Wir behaupten nicht, dass Schimpanse und Homo sapiens das gleiche wären, sondern weisen nach, dass der Schimpanse zur Gattung Homo gehört und dass er darüberhinaus, unabhängig von biologischen Kategorien, alle Kriterien des rechtlichen Personenbegriffs erfüllt.Der entscheidende Unterschied zwischen diesem Verfahren für Hiasl und Initiativen wie dem Great Ape Project ist, dass wir mit dem Prozess keine Gesetzesänderung anstreben, sondern auf Basis der bestehenden Gesetze argumentieren, dass Hiasl und Schimpansen im Allgemeinen subjektive Rechte zustehen. Daher müssen wir unsere Argumente auch aus Wertungen ableiten, wie sie das gegenwärtige Rechtsystem vornimmt. Für subjektive Rechte war die Menschenrechtsidee, die ideengeschichtliche Grundlage und hier besonders das Gedankengut von Immanuel Kant. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere Argumente entfalten und nicht auf Basis von Tierrechtsphilosophien, deren Ansätze der derzeitigen Rechtsordnung noch weitgehend fremd sind. Es geht hier also weder um Gesetzesänderungen, noch um die Frage, was die richtige Philosophie oder gar Tierrechtsphilosophie ist, sondern darum, welche Wertungen sich der Rechtsordnung entnehmen lassen und ob daraus Rechte für Schimpansen erwachsen. Zugespitzt formuliert: Wir gestehen ein, dass die derzeitige Rechtsordnung speziesistisch ist, aber wir fordern von den Richtern: Ihr dürft nicht speziesistischer sein als die Rechtsordnung selbst! Dort wo das Recht Gattungen meint, und damit beispielsweise Schimpansen als Spezies inkludiert, dürft ihr Schimpansen nicht ausschließen. Und: Das geltende Recht ist hinsichtlich des Personenbegriffs offen genug, auch andere Spezies als den Homo sapiens als Personen anzuerkennen, sofern sie nur die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Ich kann das Argument hinsichtlich der anthropologischen Differenz aus theoretischer Sicht gut nachvollziehen. Aber wir sollten nicht übersehen, dass im Hiasl-Fall der Status eines Wesens, das bisher als Tier eingestuft wurde, grundlegend in Frage gestellt wird. Dies hat sicherlich zur Folge, dass die eindeutig erscheinende Grenze „Mensch – Tier“ und die damit verbundenen Rechtsfolgen „Recht – rechtlos“ hinterfragt werden. Wenn es uns gelingt, Schimpansen von ihrem Tierstatus hinauf zu den Personen zu heben, wo sie hingehören, bestehen gute Chancen, dass alle Tiere, die statusmäßig unter ihnen sind, ein Stück nachrücken. Die anthropologische Differenz dürfte sich dadurch verringern. Zumindest aber sind plötzlich zwei Differenzen offen gelegt, die bisher rechtlich verschüttet waren: Die zwischen Homo sapiens und Schimpanse und die zwischen Schimpansen (bzw. Menschenaffen) und den anderen Tieren. Das macht deutlich, dass die Kategorien „Mensch“ und– „Tier“ vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse rechtlich zu kurz greifen. Und vielleicht treten später weitere Differenzen zutage, sodass daraus sukzessive Differenzierungen werden.

 

Frage: Sie sagen, Hiasl sei eigentlich nicht einmal ein Tierrechtsfall. Manche TierrechtlerInnen sehen ein Problem darin, wenn ausschließlich für Menschenaffen gekämpft wird. Ratiozentrismus, Anthropozentrismus und Speziesismus werden vorgeworfen, weil die Vernunftfähigkeit und das „Menschlichsein“, über die neben dem Homo Sapiens höchstens noch ganz wenige andere Arten verfügen, als moralisch relevant argumentiert werden.


Theuer: Beim Fall Hiasl geht es um das Recht, wie es ist, nicht um das Recht, wie es sich manche wünschen. Damit – mit dem Recht wie es ist – müssen wir arbeiten. Nur bei Schimpansen lassen sich unsere, aus dem derzeitigen Recht entnommenen Argumente anwenden. Selbst bei anderen Menschenaffen sind einige unserer Argumente nur mehr bedingt gültig, von anderen Tieren ganz zu schweigen. Einen solchen Prozess kann man also nur sinnvoll für Schimpansen führen, allenfalls noch für andere Menschenaffen. Ich möchte dabei gar nicht bestreiten, dass unsere Argumente insofern speziesistisch sind, als sie auf die Spezies Schimpanse und seine Zugehörigkeit zur Gattung Mensch verweisen. Unsere zweite Argumentationsschiene – Personeneigenschaft von Schimpansen aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten, ihrer Vernunftbegabung – könnte man als indirekt speziesistisch bezeichnen, da sie auf Eigenschaften abstellt, die (vom Homo Sapiens abgesehen) nur Schimpansen oder bestenfalls nur wenige Spezies aufweisen, und die zudem von einem menschlichen Personenbegriff ausgehent. Aus praktischer Sicht denke ich aber, dass kein Tierrechtler dagegen sein wird, wenn Schimpansen Rechte bekommen. Eines haben tierrechtlerische Ansätze und unsere Argumentation im Fall Hiasl gemeinsam: Das Infragestellen der Speziesbarriere. Der weitere Weg wird dann für Tierrechtler leichter zu beschreiten sein, auch wenn vielleicht nicht alle, die für Rechte für Menschenaffen eintreten, diesen mitgehen werden.

 

Frage: Wie war ihre erste Begegnung mit Hiasl?

 

Theuer: Als ich Hiasl das erste Mal sah und sein ausdrucksstarkes Gesicht betrachtete, erkannte ich in dem Augenblick: Das ist ein Wesen mit Individualität, mit Geschichte, mit Persönlichkeit, mit Vernunft. Das ist eine Person. Natürlich, sehr viele Tiere weisen erkennbar Individualität und Biographie auf, aber nur bei Schimpansen war mir diese so unmittelbar zugänglich und offensichtlich, wie sonst nur bei meiner eigenen Spezies. Wenn wir Schimpansen in die Augen sehen, blicken wir in unsere eigene evolutionäre Vergangenheit, und wir erkennen gleichsam intuitiv, dass diese Schimpansen unserer Art näher sind als alle anderen Spezies auf dieser Erde.


Wir danken Ihnen vielmals für dieses interessante und informative Gespräch!

 

Das Interview führte Emil Franzinelli.


1: Anm. der Red.: Über eine „Theory of Mind“ zu verfügen steht in der Kognitionspsychologie und Philosophie des Geistes für die Fähigkeit eines Wesens, sich mittels einer „Theorie des Geistes“ (und eben nicht unmittelbar oder gar nicht) in Andere (also in die Bewusstseinszustände anderer Wesen) hineinversetzen zu können.

2: Anm. der Red.: Der wohl anerkannteste Primatologe heutiger Zeit, Frans De Waal, hat nachgewiesen, dass Schimpansen sogar (zumindest rudimentäre) moralische Konzepte wie Fairness kennen.

3: Anm. der Red.: Der Begriff „teleologische Reduktion“ wird hier – ebenso wie der Gegenbegriff „Analogie“ – als rechtswissenschaftlicher Fachbegriff verwendet. Er besagt, dass eine sprachlich weitreichend verfasste Bestimmung entsprechend eingeschränkt wird, wenn sie Fälle erfasst, die sie – gemessen an dem Zweck (dem Telos) der Bestimmung – nicht erfassen sollte. Die „Analogie“ von Fällen soll hingegen zur Erweiterung eines (hier: zu eng verfassten) Gesetzes führen, das (z.B. aufgrund von Unkenntnis zum Zeitpunkt des Verfassens) nicht sämtliche Fälle einschließt, die es eigentlich einschließen müsste. Aufgrund der Ähnlichkeit der Fälle erstreckt sich eine Rechtsfolge theoretisch auch auf diese analogen.

4: Anm. der Red.: Titel eines Buches von Steven M. Wise, in dem es auch um die Anerkennung von Rechten für Menschenaffen geht.

 

Letztlich führte weder das Verfahren vor dem österreichischen OGH noch das vor dem EGMR zum gewünschten Erfolg: Hiasl bleibt der Personenstatus (vorläufig) vorenthalten. vgl. hier 

 

aus: Tierbefreiung - Nr. 62 / März 2009

 

Aktueller Nachtrag: Im Juni 2016 siedelte HIASL (zusammen mit seiner Lebensgefährtin ROSI) aus dem Wiener Tierschutzhaus in die Primatenauffangstation von Stichting AAP in den Niederlanden um.

Weiterführende Texte und Informationen:

 

Martin Balluch, Eberhard Theuer: Personhood Trial for Chimpanzee Matthew Pan. in: VGT-Publikationen

 

Karin Christmann, Kristin Haug: Grundrechte für Menschenaffe Hiasl. in sueddeutsche.de v. 29.09.2010

 

Colette Roitsch: Ich bin eine Person. in: P.M. 5/2009

 

Eberhard Theuer: Wie "Habeas Corpus" die Speziesgrenze transzendieren könnte. in: VerfassungsBlog vom 15.4.2014