Leintalzoo

Neger und Gartenzwerg

 

Mitten in der baden-württembergischen Provinz, auf halbem Wege zwischen Stuttgart und Heidelberg und zugehörig der 11.000-Einwohner-Gemeinde Schwaigern (nahe Heilbronn), findet sich der sogenannte „Leintalzoo“, ein im Jahre 1980 eröffneter Privatzoo, der bis heute von der Familie des Begründers, Peter Geßmann, zusammen mit einem eingetragenen Förder- sprich: Spendensammelverein, betrieben wird. Geßmann, so die von ihm selbst kolportierte Lesart, habe den Zoos einst begründet, um „Menschenaffenwaisen aus Afrika ein Zuhause zu schaffen“: Angeblich habe er schon in den 1960er Jahren in Kamerun Schimpansenbabies gerettet und nach Deutschland verbracht. Auch Schimpansen von „Schaustellern, Zirkussen und Privathaltern“ will er gerettet haben. Tatsächlich hatte Geßmann schon vor Eröffnung seines Zoos einige Schimpansen gehalten, woher er sie hatte, ist unbekannt. Der Leintalzoo gehört der „Deutschen Tierparkgesellschaft e.V.“ an, einem unbedeutenden Zusammenschluß privat betriebener Kleinzoos.

 

Auf einem langgestreckten Grundstück entlang einer Hauptverkehrsstraße etwas außerhalb Schwaigerns werden in Volieren einige Fasane, Flamingos, Pfaue und Sittiche gezeigt, in einem sogenannten Haustierbereich ein Lama, ein Pony, ein Muli, dazu ein Hängebauchschwein sowie ein paar Schafe und Ziegen. Insgesamt hält der Zoo 270 Tiere aus 50 Arten vor. Als Hauptattraktion gilt die zentral gelegene Affenanlage, in der neben Gibbons, Mandrillen, Kapuzineraffen, Makis und Meerkatzen die angeblich „größte Schimpansengruppe Deutschlands“ zur Schau gestellt wird. In der Tat werden derzeit 36 Schimpansen vorgehalten, unter Bedingungen, die jeder Beschreibung Hohn sprechen.

 

Die Affenanlage des Leintalzoos besteht aus zwei ineinander übergehenden Gebäudetrakten: einem völlig heruntergekommenen „Altbau“, der seit den Gründertagen des Parks offenbar nie renoviert wurde, sowie einem 2002 angefügten „Neubau“; hinzu kommt ein von beiden Häusern aus zugängiges relativ großes Außengehege.

Der auffallend ungepflegte und extrem übelriechende „Altbau“ weist neben neun teils winzigen Käfigen für die „niederen Affen“ sowie einem kleinen Käfig für Papageien ein etwa 200qm umfassendes, teilbares Großgehege auf, in dem 25 Schimpansen untergebracht sind. Das Gehege ist an den Seiten und an der Decke mit Eisenrohrgittern versehen, die Rückwand ist verfliest. Der Boden besteht zu einer Hälfte aus nacktem Beton, zur anderen ist er mit durch und durch versifftem (d.h. offenbar nur selten ausgetauschtem) Mulch bedeckt. Ausgestattet ist das Gehege mit ein paar Totholzstämmen und Seilen; weitere Spiel- oder Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es nicht, ebensowenig Stroh, Holzwolle oder sonstiges Nestbaumaterial. Verdreckte Milchglasfenster erlauben keinen Blick nach draußen.

 

Die Tiere haben keinerlei Möglichkeit sich zu verstecken, sich zurückzuziehen oder einander aus dem Weg zu gehen: zusammengepfercht auf engstem Raume sitzen sie den ganzen Tag beschäftigungslos herum und langweilen sich zu Tode. Die in sich völlig unzureichenden Bestimmungen des bundesministeriellen Säugetiergutachtens von 1996, die ein Grundfläche von wenigstens 25qm pro zwei Schimpansen plus zusätzliche 10qm für jedes weitere Tier vorsehen, werden im Leintalzoo massiv unterschritten; auch die mangelhafte Ausstattung des Geheges widerspricht sämtlichen Bestimmungen. Highlights des Tages sind die sogenannten „Schaufütterungen“, bei denen den Schimpansen jeweils eine Schubkarre Obst und Gemüse vor den Käfig gekippt wird, das sie sich durch das Gitter hereinangeln müssen.

Der ebenfalls sehr ungepflegte „Neubau“ weist neben einem etwa 15qm großen Käfig für Mandrille und einem 12qm großen Bedarfsgehege ein zweites, etwa 80qm umfassendes Großgehege auf, in dem weitere 10 Schimpansen gehalten werden. Auch hier werden die Bestimmungen des Säugetiergutachtens nicht erfüllt. Die Wände und Decken sind verfliest bzw. vergittert, der Boden besteht aus nacktem Beton. An Einrichtung finden sich drei Totholzstämme, ein paar Seile sowie Stahlrohre, die das Deckenkonstrukt tragen; Holzwolle oder Stoh gibt es nicht, auch keine Versteck- oder Rückzugsmöglichkeiten. Der einzige Unterschied zum „Altbau“ besteht darin, dass der „Neubau“ etwas lichter ist und den Tieren durch einen Versorgungsgang hindurch einen Blick ins Freie ermöglicht.

 

Das Außengehege für die Schimpansen besteht aus mehreren ineinander verschachtelten und voneinander abtrennbaren Eisendrahtkäfigen, die eine Gesamtgrundfläche von geschätzten 1000qm aufweisen. Sie verfügen über Naturboden, einige Totholzstämme, Stahlrohre sowie ein paar aufgehängte Seile; sonstiges Spiel- oder Beschäftigungsmaterial gibt es nicht, auch keinerlei Rückzugs- oder Versteckmöglichkeiten. Für die „niederen Affen“ werden, angebaut an den „Altbau“, eigene kleine Außenkäfige vorgehalten, die, ebenso wie die Innenkäfige, allein ihrer geringen Maße von teils weniger als 6qm Grundfläche wegen als Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu werten sind. Der Hinweis auf einem Plakat, dass freilebende Schimpansen Wohngebiete „von 10 bis 30 Quadratkilometern“ durchstreifen, erscheint als blanker Zynismus.

 

Auch wenn den Schimpansen des Leintalzoos mehr Außenraum zur Verfügung steht, als vielen ihrer Artgenossen in anderen Zoos, muß die Gesamtsituation als völlig inakzeptabel gewertet werden. Die Gestaltung der Außenanlagen entspricht nicht ansatzweise den Erfordernissen für die Haltung Großer Menschenaffen (ungeachtet der Frage, was Wild- oder sonstige Tiere, ob exotisch oder heimisch, überhaupt in einem Zoo verloren haben bzw. was überhaupt die Existenzberechtigung von Zoos ist). Vor allem aber die Innenanlagen, in denen die Tiere mehr als 80 Prozent ihrer Lebenszeit zuzubringen genötigt sind - die Außenanlagen können nur tagsüber und nur bei entsprechender Witterung aufgesucht werden -, sind indiskutabel. Sollte eine substantielle Verbesserung, die zumindest die Forderungen des Säugetiergutachtens erfüllt, zeitnah nicht möglich sein, muß der Leintalzoo seine Schimpansenhaltung aufgeben. Umgehend aber muß dem Zoo ein striktes Nachzuchtverbot auferlegt werden: trotz der heillosen Überbelegung der Schimpansenanlage wurde und wird völlig unkontrolliert - d.h. außerhalb des Europäischen Erhaltungszuchtprogrammes und unter Inkaufnahme schwerer genetischer Defekte durch Inzuchtvermehrung - gezüchtet: allein im Zeitraum zwischen 2005 und 2011 gab es sieben Nachzuchten, die sich mit Blick auf das Interesse der Besucher an „süßen Affenbabies“ entsprechend vermarkten ließen: der Zoo verzeichnet etwa 50.000 Besucher pro Jahr.

Insgesamt haben die Geßmanns wenigstens 20 Schimpansennachzuchten zu verantworten, von denen eine überproportional hohe Zahl „von Hand“ aufgezogen werden mußte, da sie von ihren Müttern nicht angenommen worden waren. Verhaltensstörungen sind da vorprogrammiert. Über welcherart primatologische oder zoologische Fachkompetenz die Geßmanns verfügen, war nichts in Erfahrung zu bringen. Die Namen, die sie ihren Schimpansen gegeben haben, sprechen Bände: „Neger“, „Gartenzwerg“, „Ziegenkind“; allen Ernstes auch „Pipi“, „Putzi“ und „Lappen“. Vom Bildungsauftrag, den Zoos nach § 42 BNatSchG zu erfüllen haben, scheint man im Leintalzoo noch nie gehört zu haben.

 

In der Pflicht steht insofern die neue grüne-rote Landesregierung Baden-Württembergs: es gilt, die schweren Fehler und Versäumnisse fast 60jähriger CDU-Alleinherrschaft zu korrigieren, die es möglich machten, dass Einrichtungen wie der Leintalzoo - oder auch der benachbarte „Schwabenpark“, der neben Achterbahnen, Riesenrädern und sonstigen Fahrgeschäften einen eigenen Zoo mit derzeit zwei Tigern und 47 Schimpansen (!) vorhält - jahrzehntelang nach Gutdünken exotische Wildtiere vermehren und unter unwürdigen bzw. tierquälerischen Bedingungen zur Schau stellen konnten (BaWü weist unter allen Bundesländern die mit Abstand größte Zahl gefangengehaltener Schimpansen auf). Auch die Haltung von Menschenaffen (und anderer Tiere) in den Zoos von Heidelberg, Karlsruhe, Neunkirchen und Stuttgart sollte der zuständige Landesminister Alexander Bonde unter die Lupe nehmen. Unterstützend können regional ansässige Tierrechtsgruppen dafür sorgen, dass die Missstände in Leintal und in den anderen baden-württembergischen Zoos verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getragen werden. Das Great Ape Project leistet jede denkbare Hilfestellung (www.greatapeproject.de).

 

Colin Goldner

in: Tierbefreiung, 75, Mai 2012

 

Rechtlicher Hinweis

Der Autor hat den Leintalzoo zwischen September 2011 und März 2012 mehrfach besucht. Die beschriebenen Verhältnisse entsprechen dem, was ein „normaler Zoobesucher“ in besagtem Zeitraum zu sehen bekam. Die Angaben zur Anzahl der angetroffenen Tiere können von den offiziellen Angaben bzw. den tatsächlichen Beständen abweichen, da einzelne Tiere möglicherweise außerhalb der für normale Besucher einsehbaren Gehege verwahrt wurden (Kinderstube, Quarantäne, Krankenstation o.ä.) oder in andere Zoos ausgelagert bzw. zu Nachzuchtzwecken „verliehen“ waren. Die Angaben zur Größe von Käfigen und Gehegen sind Schätzwerte (ggf. außerhalb der Schauanlagen vorgehaltene Nutzflächen - Schlafboxen, Management- oder Quarantäneräume etc. - sind insofern nicht einbezogen). Die Veröffentlichung von Bildern aus Zoos ist laut Urteil des LG Hamburg vom 7.7.1995 rechtens: auch unerlaubt und verdeckt entstandene Aufnahmen hinsichtlich einer „die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“, nämlich „ob die Haltung von Tieren im Zoo (...) zu befürworten oder aber grundsätzlich aus Tierschutzgründen abzulehnen ist“, sind zulässig und begründet (324 O 116/95 u.a).