Serengetipark Hodenhagen
Abgase von 3.000 Autos pro Tag
Der Serengetipark, gelegen am Rande der 3000-Einwohner-Gemeinde Hodenhagen in der südlichen Lüneburger Heide, stellt ein in Europa einzigartiges Freizeitkonzept vor: auf einem zusammenhängenden Areal von etwa 200 Hektar finden sich ein klassischer „Amusementpark“ mit einer Vielzahl an Fahrgeschäften sowie ein mit dem Privat-Pkw oder einem der parkeigenen Doppeldeckerbusse zu durchfahrender „Safaripark“, in dem mehr als 1300 Wildtiere aus etwa 70 Arten besichtigt werden können. Begründet Anfang der 1970 von einem italienischstämmigen ehemaligen Großwildjäger und Tierhändler namens Paolo Sepe [gest.2007] zählt der Serengetipark heute zu größten und umsatzstärksten Freizeitanlagen Europas mit jährlich über 700.000 Besuchern. In den Anfangsjahren erhielt Sepe Unterstützung vom seinerzeitigen Direktor des Frankfurter Zoos, Bernhard Grzimek, der schon Mitte der 1950er von Safariparks in Deutschland halluziniert hatte.
Der Serengetipark ist von Mitte März bis Ende Oktober täglich von 10 Uhr morgens bis 17.00 Uhr abends (im Hochsommer bis 18.30 Uhr) geöffnet. Die zu lösende Tageskarte berechtigt zu beliebig häufiger Nutzung der Fahrgeschäfte ebenso wie zum Besuch des Safaribereiches. Der (zusammen mit dem alleine schon 20ha großen Besucherparkplatz) knapp die Hälfte des Gesamtareals umfassende Amusementteil des Parks bietet eine Vielzahl rummelplatztypischer Fahrgeschäfte (Achterbahn, Riesenrad, Wasserrutsche etc.), viele davon weisen, zumindest in ihrer Bezeichnung, einen ausdrücklichen „Safaribezug“ auf („Madagaskar-Kettenflieger“, „Victoria-Free-Fall-Tower“, „Kumba-Twister“ usw.). Eine 2012 neueröffnete „Aquasafari“ führt die Besucher auf „Airboats“ durch eine den Everglades in Florida nachempfundene künstliche Flusslandschaft , die mit einer Reihe disneylandähnlicher „Spezialeffekte“ (u.a. einem robotronischen Monster-KingKong) aufwartet. Hinzu kommen zahlreiche „besucheraktive“ Einrichtungen (Abenteuerspielplatz, Kletteranlage, Hochseilgarten, Trampolininsel, Ruderbootfahrten etc.) sowie zwei Bühnen für Showacts.
Auch die Kioske („Mombasa-Kiosk“, „Kenia-Grill“ etc.) sowie das parkeigene Restaurant („Zanzibar“) sind im „Safaristil“ gehalten, desgleichen der in den Park eingebundene Beherbungsbetrieb, der unter dem Motto „Urlaub in der Serengeti“ achzig „Safari-Lodges“ unterschiedlicher Größe vorhält. (Die Lodges sowie ein dazugehöriges „Savanne Lodge Restaurant“ können auch für externe Veranstaltungen - Seminare, Tagungen, Hochzeiten oder sonstige Familienfeiern - gebucht werden.)
Etwa ein Viertel der Amusementareals ist als „Affenwelt“ ausgewiesen: ein Rundweg rund um einen künstlich angelegten See führt die Besucher vorbei an Gehegen für Krallen-, Kapuziner- und Husarenaffen, auch Meerkatzen, Makaken und Makis werden gezeigt. Die Gehege für Tempelaffen, Kattas, Berber- und Totenkopfaffen sind direkt begehbar, ebenso eine über eine Hängebrücke erreichbare Insel, auf der Weißkopfmakis gehalten werden. Insgesamt hält die „Affenwelt“ etwa 200 Tiere vor.
Das eigentliche „Safaripark“ umfasst etwa 110 Hektar und stellt damit eine der flächenmäßig größten zoologischen Einrichtungen Europas dar. Das in 17 voneinander getrennte und je eigens umzäunte Bereiche unterteilte Areal kann nur mit dem eigenen Pkw bzw. mit einem der etwa zwanzig Doppeldeckerbusse durchfahren werden, die der Park für die Besucher bereithält. Die mäandernd geführte und insofern etwa neun Kilometer lange Wegstrecke führt durch die unterschiedlich weitläufigen Einzelgehege, die bestimmten Naturräumen aus allen fünf Kontinenten nachempfunden und mit entsprechenden Tiergruppen besetzt sind, z.B. „Savanne“ (Antilopen, Giraffen, Wasserböcke), „Prärie“ (Bisons, Lamas, Wapitis) oder „Wallaby-Land“ (Emus, Känguruhs, Wasserbüffel); besonders gesicherte Gehege werden für Bengaltiger und Löwen vorgehalten, ein eigenes „Europa“-Gehege, in dem die Besucher ihr Auto bzw. den Bus verlassen dürfen, bietet „Streichelspaß“ mit Schafen, Ziegen und Zwergeseln.
Seit 2005 werden sogenannte „Dschungelsafaris“ angeboten, bei denen die Besucher in offenen Geländewagen „offroad“ durch das Gelände gefahren werden. Die etwa 25minütige Tour führt zunächst durch die Bereiche „Savanne“ und „Botswana-Land“ (Nashörner, Strauße, Watussirinder), um letztlich in einem eigenen Waldstück mit „überraschenden und naturnahen Spezialeffekten“ aufzuwarten: robotronische Löwen und Nashörner führen einen „Angriff auf den Jeep“ durch, eine zu überquerende Brücke wird „in Brand gesetzt“, es gibt, in Szene gesetzt ebenfalls mit vollautomatischen Robotronicfiguren, den „aufregenden Überfall eines afrikanischen Eingeborenenstammes“.
Atemberaubende Erlebniswelt?
Obgleich der Serengetipark sich in erster Linie über die exotischen Wildtiere bewirbt, die er in seiner „Safari“-Abteilung vorhält, dienen diese als nicht viel mehr denn als thematischer Rahmen für den angeschlossenen Freizeitpark. In der Tat kann die „Tierwelt“, in der entlang einer etwa neun Kilometer langen Wegstrecke mehr als 1300 Tiere zur Schau gestellt werden, mit dem eigenen Auto oder einem der parkeigenen Busse in 60 bis 90 Minuten durchfahren werden; den Rest des Tages können die Besucher unter beliebig häufiger Nutzung der Fahrgeschäfte und sonstigen Freizeiteinrichtungen im Amusementteil des Parks verbringen.
Auch die „Safarifahrt“ selbst ist Teil eines bis ins Detail durchstrukturierten Marketingkonzepts, das auf massenkompatibles Entertainment abstellt. Der edukative Wert der vermeintlichen Begegnung mit „wilden Tieren in freier Natur“, die der Park zu bieten vorgibt, tendiert gegen Null: tatsächlich fahren die Besucher im Schritttempo durch unterschiedlich große und mit Zäunen bzw. Wildschleusen voneinander abgetrennte Einzelgehege, in denen je ein paar beliebig aus dem jeweiligen Naturräumen (Amazonien, Kalahari, Tundra etc.) herausgegriffene Wildtiere herumstehen. Erläuternde Hinweise gibt es nicht. (Die in einer extra zu erwerbenden Begleitbroschüre aufgelisteten Informationen bewegen sich auf betont einfach gehaltenem Niveau, vergleichbare Informationen erhält man auch von den Fahrern der Parkbusse). Die angeblich den natürlichen Lebensräumen der Tiere nachempfundenen Gehege sehen durchwegs aus wie „Lüneburger Heide“, auch wenn etwa der Bereich „Prärie“ mit einem „Indianer-Tipi“ oder „Europa“ mit einem künstlichen Islandgeysir dekoriert ist.
Mit Blick auf die Tierhaltung liegt der wesentliche Unterschied des Serengetiparks zu sonstigen Zoos in der teils erheblich größeren Freifläche, die den Tieren zugestanden wird. Allerdings ist auch im Serengetipark der Lebensraum der Tiere letztlich eng begrenzt, im Vergleich zu den Gebieten, die sie in ihren natürlichen Heimaten bewohnen, liegt selbst das größte Gehege im tausendstel Promillebereich. Zudem kommen keineswegs alle Tiere des Serengetiparks in den Genuß größerer Freiflächen: einige werden in völlig ungeeigneten Kleingehegen gehalten, die die Behauptung des Parks, sie hätten hier eine „zweite Heimat“ gefunden, als zynische Farce erscheinen lassen: einer Gruppe von Amur-Leoparden beispielsweise steht ein allenfalls 300qm Bodenfläche umfassendes Drahtgeflechtgehege zur Verfügung - eher eine Art Vogelvoliere -, das den bewegungsaktiven Großkatzen keinerlei angemessene Laufmöglichkeit bietet; die in Freiheit extrem scheuen Tiere weisen, zumal ihr Gehege unmittelbar an der Fahrtrasse der Besucher liegt, massive Verhaltensstörungen auf. Auch die Gibbon-Anlage ist indiskutabel: die Tiere werden auf einer winzigen Insel gehalten, die nicht annähernd ihrem Bewegungsdrang entspricht.
Die Behauptung der Parkleitung, die Tiere lebten „weitgehend frei und ungezähmt“, ist grotesk. Tatsächlich liegen oder stehen sie in ihren umgatterten Gehegen herum, durch die sich Tag für Tag endlose Kolonnen an Pkws und parkeigenen Bussen wälzen. Abgesehen von der gesundheitlichen Extrembelastung durch die Abgase der im Schritttempo vorbeiziehenden Kfz – bis zu dreitausend pro Tag -, haben die Tiere keinerlei Möglichkeit, den Besucherblicken auszuweichen oder sich in angemessene Distanz zurückzuziehen. Selbst ausgesprochene Fluchttiere wie Antilopen, Impalas oder Zebras sind genötigt, die unmittelbare und massenhafte Nähe von Menschen zu ertragen, der sie in freier Wildbahn panisch zu entfliehen suchten. Erwartungsgemäß haben die Tiere des Serengetiparks - ebenso wie die Tiere in jedem anderen Zoo - in ihrem Verhalten kaum mehr etwas gemein mit ihren freilebenden Artgenossen.
Das Gros der im Serengetipark vorgehaltenen Tiere muß alleine schon aus klimatischen Gründen nachtsüber in Innengehege verbracht werden, die zugleich ihrer Aufbewahrung während der Winterpause dienen, in der der Park geschlossen ist. Mit Ausnahme des Elefantenhauses können diese Gehege von Parkbesuchern nicht eingesehen werden. Die Behauptung der Parkleitung, die Tiere würden bei kalter Witterung und im Winter „in Gruppenhaltung in großräumigen Stallgebäuden untergebracht“, dürfte mit den tatsächlichen Gegebenheiten wenig zu tun haben. Von außen besehen jedenfalls erscheinen die weitab der Besuchertrasse und versteckt angelegten Stallungen als völlig ungenügend, die jeweilige Zahl an Tieren auch nur annähernd ihren Erfordernissen entsprechend unterzubringen.
Stärkeres Naturbewußtsein?
„Höchstes kulturelles Ziel“ des Serengetiparks, so Geschäftsführer Fabrizio Sepe, sei es, den Besuchern ein „stärkeres Naturbewusstsein“ zu vermitteln. Vollends ad absurdum geführt wird dieser Anspruch in den erwähnten „Dschungelsafaris“, bei denen die Besucher zunächst an Antilopen, Giraffen und Dromedaren vorbeibrettern, um direkt anschließend noch weitaus „abenteuerhaftere“ Robotronictiere zu erleben - Löwen, Nashörner oder eine Riesenschlange -, die mithin Angriffe auf den Jeep simulieren: „Eine Erlebniswelt, die dem Gast den Atem raubt.“ Die lebenden Tiere und die Robotronicfiguren werden zugleich und gleichermaßen als Unterhaltungsobjekte präsentiert, erstere als deutlich langweiligere Varianten der zweiteren. Im Bewusstsein der Besucher, vor allem der Kinder, bleiben die computergesteuerten Robotronics vermutlich als allemal „spannender“ hängen als die wirklichen Tiere, die nur noch als Staffage dienen einer allumfassenden Entertainmentstrategie, mit der offenbar mehr Geld gemacht werden kann als mit Aufklärung und Bildung. (Der „aufregende Überfall“ des robotronischen „Eingeborenenstammes“ weist in seiner abgründigen Blödheit kolonial-rassistische Untertöne auf.)
Auch in der außerhalb des Safaribereiches gelegenen, sprich: direkt in den Amusementbereich samt dessen Geräusch- und Lärmkulisse eingebundenen „Affenwelt“ werden die Tiere alles andere als „weitgehend frei und ungezähmt“ gehaltenen. Teils leben die Affen in vom Publikum begehbaren Freigehegen – von artentsprechendem Verhalten der Tiere kann insofern keine Rede sein –, teils werden sie in kleinflächigen und völlig unzureichend ausgestatteten Drahtgitterkäfigen gehalten, an denen die Besucher vorbeiflanieren können.
In einem eigenständigen Bereich des Amusementareals, dem sogenannten „Amboseli-Schimpansenreservat“ (benannt nach dem berühmten Nationalpark im Südwesten Kenias) werden auf einer künstlich angelegten Insel neun Schimpansen gehalten. Das etwa 3000qm große Gelände ist in mehrere Einzelareale aufgeteilt und wird umgeben von einem bis zu fünf Meter breiten Wassergraben. Das hügelige Terrain weist Grasboden und natürliche Bepflanzung auf, es bietet den Tieren vergleichsweise vielfältige Beschäftigungs- und Rückzugsmöglichkeiten. Ein Drittel des Geländes wird, abgetrennt von den Schimpansen, von einer Gruppe Mandrille bewohnt. (Bis 2007 wurden statt der Mandrille Gorillas auf der Insel gehalten; über ihren Verbleib war nichts in Erfahrung zu bringen.)
Die Schimpansen haben freien Zugang zu dem von der Inselseite her flach abfallenden Wassergraben (der die einzige Sicherung gegen ein Entweichen der Tiere darstellt; sie selbst sind gegen die Gefahr des Ertrinkens nicht ausreichend geschützt); zudem ist das Gelände mit Totholzstämmen, Kletterseilen, Unterständen etc. ausgestattet, so dass, oberflächlich betrachtet und abgesehen von der ungenügenden Sicherung des Grabens, von einer für Zooverhältnisse durchaus akzeptablen Anlage gesprochen werden muß.
Allerdings nur von Frühjahr bis Herbst und nur tagsüber. Schon am späten Nachmittag werden die Schimpansen und die Mandrille in ein sogenanntes Innengehege verbracht, in dem sie bis zum nächsten Morgen, sprich: bis zu 16 Stunden (!), verbleiben. Dieses für Besucher nicht einsehbare Innengehege dient auch zur Verwahrung der Tiere bei ungünstiger Witterung und während der fast 5-monatigen Winter- pausen, in denen der Park geschlossen ist. Es besteht aus einem im rückwärtigen Teil des Insel- areals gelegenen Flachbau, der zur Besucherseite hin keinerlei Fenster sondern nur zwei Ein- und Ausstiegsluken für die Tiere aufweist. Die besucherabgewandte Seite zeigt in einen der Öffentlichkeit nicht zugängigen Betriebshof, in dem die Geländewagen der Dschungelsafaris abgestellt und gewartet werden. Auf dieser Seite befinden sich einige Fenster, die einen (wenngleich nicht erlaubten) Blick ins Innere des Baus zulassen. Dieser zeigt jenseits eines Versorgungsganges eine Reihe nebeneinander liegender, heillos verdreckter und verrosteter Eisengitterkäfige indiskutabler Größe und Ausstattung. Die bundesministeriellen Maßgaben zur Unterbringung Großer Menschenaffen in Innengehegen werden in diesem garagenähnlichen, stockdusteren Verschlag gleich in mehrfacher Hinsicht missachtet; die Vorstellung, dass neben den Schimpansen bis vor wenigen Jahren statt der relativ kleinen Mandrille Gorillas hier untergebracht waren, raubt einem in der Tat den Atem. Um es nocheinmal zu verdeutlichen: die Zeit von Ende Oktober bis Ende März, in der der Park geschlossen ist, verbringen die Tiere praktisch „rund um die Uhr“ in diesen Innenkäfigen.
Bei genauerer Hinsicht erweist sich selbst das vermeintlich akzeptable Freigelände des „Amboseli-Reservats“ als denkbar ungeeignet zur Haltung von Schimpansen (bzw. von Wildtieren jedweder Art): Unmittelbar angrenzend an die Anlage und nur durch diese zu erreichen findet sich der „Bahnhof“ der Dschungelsafari, von dem in zehn- bis fünfzehnminütigem Abstand und unter eigens forciertem Motorenlärm die Geländewagen für die „Abenteuertour“ abfahren. Auch der extrem hohe Lärmpegel der unweit gelegenen „Aquasafari“ mit ihren PS-starken „Airboats“ dringt bis in das „Schimpansen-Reservat“. Der Umstand, dass die Besucher bei der „Aquasafari“ einem monströsen Robotronic-KingKong begegnen, der mit rotglühenden Augen hinter einem Wasservorhang auftaucht - laut Parkbroschüre finde man sich „Auge in Auge mit dem berühmten Ungeheuer“ wieder“ -, was jede Begegnung mit den realen Menschenaffen konterkariert, spielt da schon fast keine Rolle mehr.
Colin Goldner
Tierbefreiung #83, Juni 2014