Tierpark Nordhorn
Tödliche Langeweile auf nacktem Beton
Schimpansen im "Tierpark Nordhorn"
Die 53.000-Einwohner-Gemeinde Nordhorn liegt im äußersten Südwesten Niedersachsens, nur wenige Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt. Im Jahre 1949 wurde hier in privater Initiative ein kleiner Heimattiergarten begründet, dessen Trägerschaft Anfang der 1960 von einem „Tierpark Nordhorn e.V.“ übernommen wurde. Mit finanzieller Unterstützung des örtlichen Verkehrsvereins und der Stadt Nordhorn selbst wurden Gelände und Tierbestand fortlaufend erweitert. Schon Anfang der 1970er wies der Zoo ein umfangreiches Sortiment exotischer Wildtiere auf, darunter verschiedene Großkatzenarten; seit1973 werden Gibbons gehalten, seit 1987 auch Schimpansen.
1990 lief der Pachtvertrag für einen erheblichen Teil des Geländes aus und wurde aufgrund des dilettantischen Managements der seinerzeitigen Zooleitung nicht verlängert. Der Park musste verkleinert werden, der Tierbestand wurde - mit tatkräftiger Unterstützung der örtlichen Jägerschaft, wie die Zoochronik vermeldet - massiv reduziert. Da in der Folge auch die Besucherzahlen zurückgingen, musste 1993 Konkurs angemeldet werden; der Trägerverein löste sich auf.
Über die Gründung einer „Tierpark Nordhorn gGmbH“, als deren Gesellschafter Stadt und Landkreis zeichneten, wurde der Pleitezoo aufgefangen und mit Hilfe von Steuergeldern generalsaniert. Im „Jubiläumsjahr 1999“ konnte das Zoogelände auf fast die doppelte Fläche erweitert werden, die es vor der Rückführung von 1990 hatte. Heute werden auf 10 Hektar 1000 Tiere aus fast 100 Arten zur Schau gestellt. Die Besucherzahlen liegen nach Angaben des Zoos zwischen 300.000 und 350.000 pro Jahr, die Hälfte davon komme aus Holland.
Im Jahr 1999 wurde auf dem Zoogelände ein anderwärts abgebrochener Bauernhof aus dem 19. Jahrhundert originalgetreu wiederaufgebaut. Der Wohntrakt des sogenannten „Vechtehofes“ wurde im Zeitschnitt seiner Entstehung eingerichtet und dient, ebenso wie die dazugehörige Remise, in der landwirtschaftliche Geräte und Traktoren untergebracht sind, als volkskundliches Museum In einem anschließenden Stallgebäude werden „selten gewordene regionale Haustierrassen“ gezüchtet: mithin das „Bunte Bentheimer Schwein“, das „Bentheimer Landschaf“ oder die Hühnerrasse „Kraienkopp“. Zum Ensemble des „Vechtehofes“ gehört zudem ein mit Hilfe von EU-Fördermitteln errichtetes „historisches Gasthaus“ sowie ein „Colonialwarenladen“, in dem regionale Erzeugnisse verkauft werden. Auch der örtliche Heimat- und Trachtenverein trifft sich im „Vechtehof“, regelmäßig finden hier auch „Plattdütsch“- und Volksmusikveranstaltungen statt.
Der Tierpark Nordhorn versteht sich ausdrücklich als „Familienzoo“. Er weist insofern zwei großzügig ausgestattete Kinderspielplätze auf. Zudem werden mehrere „Streichelgehege“ vorgehalten, einschließlich eines im „Vechtehof“ eingerichteten „Ferkelstreichelzoos“. Seit 1996 gibt es eine eigene „Zooschule“, die für Kindergruppen jeder Altersstufe „Entdeckungsreisen“ oder „Themenführungen“ durch den Zoo veranstaltet. Zum Standardangebot zählt die Ausrichtung von Kindergeburtstagen, selbstredend kommen auch Osterhase und Weihnachtsmann in den Zoo. Regelmäßig werden kommentierte Schaufütterungen durchgeführt, mithin bei den Schimpansen, Stachelschweinen und Gänsegeiern, bei den Seehunden werden zusätzlich zirkusähnliche Dressurnummern vorgeführt. Zudem gibt es Sonderveranstaltungen wie Schauhüten oder Schauscheren von Schafen. In einem auf dem Parkgelände gelegenen Ferienhaus können Familien „Urlaub im Zoo" machen.
Das Nordhorner Schimpansenhaus wurde ab 1988 errichtet, nachdem man im Jahr zuvor zwei Schimpansinnen erworben hatte. Nachdem das Haus erst 1990 bezugsfertig wurde, brachte man die beiden Tiere drei Jahre lang in einem indiskutablen Behelfskäfig unter. Ein paar Jahre später kam eine weitere Schimpansin aus dem Allwetterzoo Münster dazu, gefolgt von einem Schimpansenmann aus dem Zoo von Ozoir-la-Ferriere in Frankreich. Zuchterfolge stellten sich - glücklicherweise - nicht ein. Die drei Schimpansinnen leben bis heute in Nordhorn, Schimpansenmann Sunny wurde einer angeblich unbehandelbaren „Stoffwechselstörung“ wegen Anfang Juli 2012 eingeschläfert.
Das Haus weist zwei voneinander abtrennbare Innengehege von 40 bzw. 20qm Grundfläche auf, die zum Besuchergang hin mit Sicherheitsglasscheiben versehen sind. Die beiden Gehegeabteile erhalten Tageslicht durch kleine vergitterte Oberlichten sowie eine Fensterreihe entlang des Besucherganges; im Übrigen werden sie mit Neonlicht erhellt.
An Einrichtung finden sich an den Wänden anmontierte Sitzmöglichkeiten, dazu von der Decke herabhängende Seile, Hängematten und Autoreifen; im kleineren Gehege zudem zwei Totholzstämme. Außer einer Plastiktonne steht den Tieren keinerlei Spiel- oder Beschäftigungsmaterial zur Verfügung. Die Tiere sitzen meiste Zeit apathisch auf dem nackten Betonboden herum, der allenfalls mit ein wenig Stroh bedeckt ist. Insgesamt macht das Schimpansenhaus einen ausgesprochen ungepflegten Eindruck: es scheint in den mehr als 20 Jahren seines Bestehens noch nie instandgesetzt worden zu sein.
Das an das Haus anschließende Außengelände, das den Tieren bei warmem und trockenem Wetter stundenweise zugängig gemacht wird, umfasst eine Fläche von etwa 500qm. An drei Seiten von 5m hohen Betonwänden umgebenen, ist es zur Besucherseite hin durch einen Wassertümpel abgegrenzt, der alleine schon ein Viertel der Gesamtfläche ausmacht. Das Gehege erscheint insofern sehr viel größer als es für die Tiere tatsächlich ist. Es weist Naturboden auf, zudem ist es mit ein paar Büschen, einem flachen Wasserbassin sowie einem Totholzklettergerüst ausgestattet. Auch die Außenanlage macht einen vergleichsweise heruntergekommenen Eindruck. Es stewht zu vermuten, dass man die Schimpansenhaltung „auf natürlichem Wege“ auslaufen lassen will, um die für Menschenaffen völlig unzureichende Anlage dann mit anderen Tieren zu besetzen; bis dahin wird offenbar nichts mehr investiert. Das allerdings kann sich noch hinziehen: die drei Schimpansinnen sind „in bestem Alter“, Nancy ist 33 Jahre alt, Biene 28 und Lomela gerade einmal 23. Die Vorstellung, dass sie die nächsten zwanzig und mehr Jahre unter den gegenwärtigen Bedingungen im Nordhorner Zoo leben müssen, ist gänzlich indiskutabel. Für die drei, die unverkennbare Symptome klinischer Depression zeigen, muß sofort ein besserer Platz gefunden werden, notfalls auf gerichtlichem Wege.
„Erhalten durch Aufessen“
Auf der Speisekarte des zooeigenen Gasthauses finden sich neben den üblichen (Billig-)Angeboten der Zoogastronomie auch Gerichte, die aus dem Fleisch der „Bunten Bentheimer Schweine“ hergestellt sind, mit deren Ferkeln die Kinder im „Streichelzoo“ spielen dürfen. Unter der Überschrift „Erhalten durch Aufessen“ heißt es hierzu in einem Zooführer von 2012: „Dem Erhalt dieser alten, lokalen Nutztierrasse hat sich der Tierpark [Nordhorn] besonders verschrieben, der ‚Verein zur Erhaltung des Bunten Bentheimer Schweines e.V.’ wurde hier gegründet und aufgebaut. (...) Ohne entsprechende Nachfrage durch Konsumenten könnte diese Rasse nicht erhalten werden.“ Auch „Grillwurst vom Bentheimer Landschaf“ findet sich auf der Karte.
Regelmäßig werden im Nordhorner Zoogasthaus auch sogenannte „Wildabende“ veranstaltet, „mit einem leckeren Wildbuffet zum satt essen und einem humoristisch, informativen Vortrag rund um das Thema heimisches Wild. Jagdhornbläser werden die Teilnehmer zu Beginn bei einem Aperitif musikalisch einstimmen. (...) Das Infomobil der Jägerschaft wird vor allem den Kindern die heimische Tierwelt anschaulich näher bringen.“ Das kulinarische Angebot der „Wildabende“ besteht u.a. aus Taubensuppe, Hasenpastetchen, Wildschweinpfeffer, Rehmedaillon und Hirschsteaks.
Colin Goldner
Tierbefreiung #78, Frühjahr 2013
Aktueller Nachtrag: GN vom 26.9.2017. vgl auch: Tier-schützer kritisieren Affenhaltung in Nordhorn. in NDR.de vom 27.9.2017
Vor dem Hintergrund des GN-Artikels und eines nachfolgenden Beitrages auf NDR entspann sich eine breite öffentliche Debatte zur Schimpansenhaltung im Tierpark Nordhorn - von kritik- und debattenunfähigen Zoobefürwortern als "shitstorm" verunglimpft -, die allein auf der Facebookseite des Great Ape Project in wenigen Tagen mehr als 65.000mal angeklickt und hundertemale kommentiert und geteilt wurde.
Aktueller Nachtrag 2:
Qualhaltung von Schimpansen im Tierpark Nordhorn
Ende September 2017 geriet die Schimpansenhaltung des Zoos Nordhorn (Niedersach-sen) in scharfe öffentliche Kritik. In einer Presseaussendung des Great Ape Project war sie als eine der „schlimmsten Qualhaltungen von Schimpansen in einem deutschen Zoo“ bezeichnet worden. Der völlig heruntergekommene Betonbunker, in dem die drei Tiere gehalten werden, sei viel zu klein - den bundesministeriellen Vorgaben zufolge müsste er wenigstens dreimal so groß sein wie er ist -, die Schimpansen zeigten un-verkennbare Symptome klinischer Depression. (vgl. TIERBEFREIUNG #78)
Mehrere regionale Printmedien griffen die Kritik auf, selbst in der bundesweit ausgestrahlten ARD-Vorabendsendung „Brisant“ wurde darüber berichtet. Auch in den sozialen Medien entspann sich eine heftige Debatte, die den Zoo letztlich zu einer öffentlichen Stellungnahme nötigte. Erwartungsgemäß wurde die Kritik als „völlig haltlos“ zurückgewiesen, unterfüttert mit der Behauptung, die vorgehaltenen drei Schimpan-sen kämen „aus einer alten Zirkushaltung“, was den Zoo wohl ins Licht einer Art Auffangstation rücken und die völlig ungenügenden Haltungsbedingungen irgendwie entschuldigen sollte. Tatsache ist: nur eines der Tiere (Nancy *1979) stammt aus einem Zirkus; eine zweite Schimpansin aus ebendiesem Zirkus (Bine *1984) ist 2013 verstorben. Ein drittes Tier (Lomela *1989) kam 2000 aus dem Zoo Münster hinzu. Bis zu seinem Tod 2012 lebte sogar noch ein vierter Schimpanse (Sunny *?), bezogen aus dem Zoo von Ozoir-la-Ferriere in Frankreich, in dem Nordhorner Betonbunker. Anstatt aber die Haltung mittelfristig auslaufen zu lassen, was seit Jahren ankündigt wird, besorgte man sich unmittelbar nach dem Tod von Bine Ersatz aus dem Zoo Münster (Lukani *1988 Zoo Basel), so dass seither wieder drei Schimpansen auf dem nackten Betonboden herumhocken und sich zu Tode langweilen. Das irreführende erste Statement wurde nach massiver Kritik im Netz korrigiert. Zugleich wurde eine Stellungnahme des zuständigen Veterinärdirektors nachgeschoben, der den Betonbunker als „für diese drei älteren Schimpansen völlig ausreichend“ befand. Nach welchen Maßstäben er zu dieser Bewertung kam, blieb ungeklärt. Interessant sind die personellen Verflechtungen in Nordhorn: der aktuelle Bürgermeister und damit Dienstherr des Veterinärdirektors war vor seiner Karriere als Kommunalpolitiker siebzehn Jahre lang Direktor des örtlichen Zoos.
Eine Aussicht auf Besserung für die drei Schimpansen gibt es nicht. Lomela und Lukani könnten noch dreissig Jahre und mehr leben, und selbst Nancy ist mit ihren 39 Jahren noch keineswegs auf dem Altenteil. Der Zoo hingegen teilte mit, nichts mehr in die Schimpansenanlage investieren zu wollen. Eine Abgabe der Tiere komme aber auch nicht in Betracht.
Cortisol-Speicheltest ohne Aussagekraft
In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin 1news behauptete eine Zoo-sprecherin, die Nordhorner Schimpansen zeigten „keinerlei Auffälligkeiten“, was sogar das Leipziger Max-Planck-Institut bestätigt habe. Das MPI habe über Cortisol-Speicheltests herausgefunden, dass es bei den Nordhorner Schimpansen „keine erhöhten Stresshormone gibt, und das Institut hat uns bestätigt, dass das darauf schließt, dass die Haltung nicht zu Stress für die Tiere führt.“ Das MPI Leipzig hingegen, das die Tests in der Tat vor fünf Jahren durchgeführt hatte, hat, wie eine Rückfrage ergab, nichts dergleichen bestätigt. Derlei Aussagen könnten auf der Grundlage solcher Tests auch gar nicht getroffen werden, da zum einen Referenzwerte fehlten und zum anderen ein Parameter alleine, also nur der Cortisolwert, ohnehin ohne jede Aussagekraft sei.
Die in Zoo- und Zirkuskreisen immer wieder angeführten Cortisol-Speicheltests gehen im Wesentlichen auf den Freiburger „Verhaltensforscher“ Immanuel Birmelin zurück, der wider jede wissenschaftliche Erkenntnis seit Jahrzehnten behauptet, aus dem gemessenen Cortisolwert ließe sich eins-zu-eins eine Aussage über Wohl- bzw. Missbefinden eines Tieres treffen.
Colin Goldner
Tierbefreiung #98, Frühjahr 2018