Wilhelma
Affenbunker 21
Nach endlosen Verzögerungen wurde am 14. Mai 2013 das neue „Menschen-affenhaus“ im Stuttgarter Zoo „Wilhelma“ eröffnet. Der baden-württember-gische Finanzminister Nils Schmid (SPD) - jahrelang im Vorstand des Zoofördervereins tätig - sprach von einem „Meilenstein“ in der Entwicklung des Tiergartens.
Obgleich die bisherige Unterbringung von Gorillas, Orang Utans und Bonobos in einem vorsintflutlichen Betonkasten aus den frühen 1970ern spätestens mit den Bestimmungen des bundesministeriellen Säugetiergutachtens von 1996 als nicht mehr tragbar gelten musste, sah man sich erst im Jahre 2003 bemüßigt, einen Neubau ins Auge zu fassen. 2007 wurde das auf 13 Millionen Euro veranschlagte Projekt in Angriff genommen, wortreich wurde ein Umzug der Tiere für Oktober 2009 angekündigt. Tatsächlich wurde erst 2010 mit dem Bau begonnen, dessen Fertigstellungstermin mittlerweile ebenso häufig korrigiert werden mußte wie der Kostenplan, der, noch zu Oettinger-Zeiten durchgewunken, längst die 22-Millionen-Marke überschritten hat.
Das neue Menschenaffenhaus, finanziert überwiegend aus Steuermitteln, stellt unzweifelhaft eine Verbesserung für die Tiere dar, die gezwungenermaßen ihr Leben im Stuttgarter Zoo zubringen müssen. Die Gorillas erhalten ein 500qm großes Innen- sowie zu späterem Zeitpunkt ein 2000qm großes Außengehege, die Bonobos innen 250qm und außen 1200qm. Die Orang Utans sollen im alten Menschenaffenhaus verbleiben und dort durch Gehegezusammenlegungen etwas mehr Platz bekommen; die beiden letzten Schimpansen wurden schon 2010 an einen Zoo in Ungarn abgeschoben.
Anstatt aber ein sündteueres - und selbst über erhöhte Eintritts-gelder niemals zu amortisierendes - Prestigeobjekt hinzuklotzen, hätte man im Interesse der Tiere längst eine günstigere und damit schneller zu realisierende Lösung finden können (sofern man denn glaubt, exotische Wildtiere zur Schau stellen zu müssen). Das 22-Millionen-Projekt wird die dringend notwendige Erneuerung sonstig maroder bzw. unbrauchbarer Tierhäuser im Stuttgarter Zoo auf Jahre hinaus verzögern. Die Orang Utans etwa werden lange warten müssen, bis sie ein anständiges Freigehege bekommen.
Mit Blick auf das neue Innengehege der Bonobos haben die Planer komplett versagt: zwar ist das Gehege für die gegenwärtig vorgehaltenen 13 Tieren mit 250qm deutlich größer als der Betonbunker, in dem sie bisher zusammengepfercht waren (zwei verkachelte Abteile mit insgesamt weniger als 65qm), es entspricht aber nicht ansatzweise den novellierten Richtlinien des zuständigen Bundesministeriums, die noch in dieser Legislaturperiode zur Verab-schiedung anstehen: Die neuen Bestimmungen veranschlagen für 13 erwachsene Bonobos eine Mindestfläche von 380qm im Innenbereich. Auch wenn man Schlafboxen und das erhöhte Raumvolumen miteinbezieht, ist das neue Gehege viel zu klein bemessen. Da drei der Bonobo-Frauen derzeit schwanger sind, wird es künftig sogar 16 Tiere auf dem beengten Raum geben, der gemäß den neuen Bestimmungen allenfalls für sechs Tiere ausreicht (und nach Auf-fassung von Tierrechtlern selbst dafür zu klein wäre). Eine klassische Fehlplanung auf Kosten der Tiere und der Steuerzahler. Da hilft es auch nichts, dass den Bonobos künftig ein eingebauter Bildschirm zur Verfügung steht, auf dem ihnen Zeichentrick- und Naturfilme vorgeführt werden. (Der als „Bonobo-Kino“ bezeichnete Blödsinn wird auch noch wissenschaftlich verbrämt: Die Tiere könnten „per Knopfdruck zwischen fünf verschiedenen Filmen wählen. Dabei werden sie selbst gefilmt, um ihren Filmkonsum wissenschaftlich auszuwerten. Was wird geschaut? Wer darf entscheiden? Schauen die weiblichen Bonobos andere Filme als die männlichen? Gibt es Streit? Und wie reagieren die Tiere, wenn die ‚Flimmerkiste’ plötz-lich aus ist?“)
Überhaupt hat man sich in der Gestaltung der Innengehege an völlig veralteten Konzepten der 1980er orientiert. Anstatt eines natürlichen Bodenbelages - der Zoo Leipzig etwa hat den Nachweis erbracht, dass so etwas auch im Innenbereich machbar ist - gibt es in Stuttgart nackten Beton soweit das Auge reicht: nichts als übereinandergestapelte Betonblöcke mit scharfen rechtwinkligen Stufenkanten, die für die Tiere ein enormes Verletzungsrisiko bedeuten. Lediglich in kleinen Inseln am Fuße der Betonstufen findet sich ein wenig Rindenmulch. Als Klettergerüste hat man Edelstahlrohre eingebaut, dazwischen sind ein paar Seile und Feuerwehrschläuche aufgehängt. Selbst die Cheftierpflegerin des Menschenaffen-reviers übt deutliche Kritik: für den Gorillanachwuchs etwa seien die Betonstufen viel zu hoch, man habe das Pflegepersonal nicht oder nicht ausreichend in die Planungen des 22-Millionen-Baus einbezogen.
Interessanterweise entspricht der Betrag, den die UN-Menschenaffenkonferenz des Great Ape Survival Partnership (GRASP) im Juli 2006 als sofortige Nothilfe beziffert hat, um zur Rettung der akut vom Aussterben bedrohten Großaffen Schutzgebiete in ihren natürlichen Heimaten auszuweisen, in denen die jeweiligen Populationen sich stabilisieren und ggf. wieder anwachsen könnten, mit 21 Millionen Euro ziemlich genau dem Betrag, den der Bau des neuen Menschenaffenhauses in der „Wilhelma“ verschlungen hat.
Die hinter meterhohem Panzerglas zur Schau gestellten Gorillas und Bonobos werden den afrikanischen Regenwald nie zu Gesicht bekommen. □
Colin Goldner
Tierbefreiung #79, 6/2013
Nachtrag: Ende 2014 starb im neuen Menschenaffenhaus ein Bonobo-Kind an Lungenentzündung, kurze Zeit später ein zweites, ebenfalls an Pneumonie. Aber erst nachdem ein drittes Tier Symptome einer schweren Atemwegserkrankung zeigte, räumte der seit einem Jahr amtierende neue Direktor der Wilhelma, Thomas Kölpin, „Probleme mit den Lüftungsklappen“ des neuen Hauses ein: aufgrund offenbar fehlkonstruierter Belüftungssysteme sei Kaltluft auf die extrem zugluftempfindlichen Tiere herabgeströmt und habe zu den Erkrankungen geführt. Auch die in den Gehegen eingebauten Kameras, wie Kölpin zugeben mußte, fielen immer wieder aus, so dass das Schließen der Schieber nicht überwacht werden könne: Tiere könnten versehentlich in die Hydraulik geraten und dabei eingeklemmt werden (wie dies kürzlich im Zoo von San Francisco passiert war, wo ein 16 Monate altes Gorilla-Kind zu Tode gequetscht wurde). Hinzu kommen weitere Mängel an dem 22-Mio-Neubau wie aufgebrochene Böden, abgeplatzte Fliesen und überhaupt die Verwendung völlig ungeeigneter Baumaterialien. Wer die Verantwortung für das Desaster und damit die vermutlich weitere Millionen verschlingenden Reparaturkosten trägt, ist völlig unklar. Das Architekturbüro redet sich heraus, desgleichen der vormalige Zoodirektor Dieter Jauch, unter dessen Leitung das Haus geplant und gebaut wurde; selbstredend auch Primatenkuratorin Marianne Holtkötter, die als Fachberaterin fungiert hatte. Auch der baden-württembergische Finanzminister Nils Schmidt als Bauherr weist jede Schuld von sich. Wie es aussieht, werden die Kosten zur Behebung des unfassbaren Pfuschs am Bau wieder einmal auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Konsequenzen für Jauch, Holtkötter, Schmidt & Co mit Blick auf den Tod der beiden Bonobos? Keine. Es waren ja nur Tiere. □