National Geographic

In Ausgabe Juli 2012 befasst sich das Wissenschaftsagazin NATIONAL GEOGRAPHIC mit der Forderung nach Grundrechten für die Großen Menschenaffen und stellt die Frage nach der ethischen Berechtigung, sie in Zoos gefangenzuhalten und zur Schau zu stellen.

 

Eine Vielzahl an Medien - von BamS bis Spiegel - griff das Thema auf (siehe unten)

 

Presseaussendung:

 

Keine Menschenaffen mehr in Zoos!? NATIONAL GEOGRAPHIC unterstützt die Forderung von Affenrechtlern nach Grundrechten für Gorillas, Bonobos, Orang-Utans und Schimpansen

 

Hamburg (ots) 24.6.2012


Gut ein Drittel der Deutschen Zoos hält Menschenaffen unter mangelhaften bis ungenügenden Bedingungen

Menschenaffen lieben und kämpfen, sie lügen und morden, sie lachen und trauern. Sie sind wie du und ich. NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND stellt nun in der Juli-Ausgabe 2012 die Frage: "Dürfen wir Menschenaffen künftig noch in Zoos zur Schau stellen?" Ihre genetische Ähnlichkeit zum Menschen, ihre Fähigkeit, "menschliche" Gefühle zu zeigen, sowie ihr nachgewiesenes Selbstbewusstsein veranlassen immer mehr Wissenschaftler und Tierrechtler, sich für die Würde der Großen Menschenaffen stark zu machen. Sie fordern gesetzlich zuerkannte Grundrechte, welche die Existenz und Persönlichkeit von Gorillas, Bonobos, Orang-Utans und Schimpansen nachhaltig schützen. NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND unterstützt die Appelle der Affenrechtler und veröffentlicht jetzt einen Zoo-Check der führenden Organisation zum Schutz der großen Affenarten - des "Great Ape Projects". Demnach hält gut ein Drittel der deutschen Zoos Menschenaffen unter mangelhaften bis ungenügenden Bedingungen - darunter bekannte Tierparks, wie der Hamburger, der Berliner und der Stuttgarter Zoo sowie ein Großteil der Affengehege im Ruhrgebiet.

Das "Great Ape Project" fordert das gesetzlich verankerte Recht auf Leben, Freiheit und körperliche wie psychische Unversehrtheit: Es sollte untersagt werden, schädigende Tierversuche mit großen Menschenaffen durchzuführen, sie zu jagen und ihren Lebensraum zu zerstören. Verboten werden sollte auch die Haltung unter unwürdigen Bedingungen, die in 33 Prozent der deutschen Zoos tägliche Realität ist. Insgesamt leben rund 450 Menschenaffen in 40 deutschen Zoos oder zooähnlichen Einrichtungen. Obwohl Gorillas, Schimpansen und Bonobos Familienwesen sind, leben in rund einem Viertel der deutschen Zoos jeweils nur ein bis zwei Affen der gleichen Art, was laut "Great Ape Project" einer Isolationshaft gleichkommt. Colin Goldner, Leiter der Organisation in Deutschland, fordert, die Lebensbedingungen in den weniger guten Zoos "deutlich zu verbessern". Betreuung und Beschäftigung müssten dort den aktuellen Erkenntnissen entsprechen. Wer das nicht garantieren könne, dürfe keine Menschenaffen mehr halten. Hinter diesen Appell stellt sich auch NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND: "Wir sollten dafür sorgen, dass Affen, so lange sie noch in Zoos gehalten werden, dort ein möglichst lebenswertes und würdiges Leben führen können", erklärt NATIONAL GEOGRAPHIC-Chefredakteur Dr. Erwin Brunner: "Doch kein Zoo der Welt kann den Dschungel, die freie Wildbahn für Gorillas und ihre Artgenossen ersetzen. Die bessere Heimat wären große Reservate im Kongo, in Uganda, in Ruanda. Alternativ müsste man bei uns mehr so genannte 'Chimpheavens' bauen, von denen es schon einige in den USA und in Europa gibt, große Reservate, in denen die Menschenaffen unbelästigt leben dürfen." Würden die Affenrechtsorganisationen mit ihren Bemühungen um Grundrechte Erfolg haben, dürfte kein Zoo weiterhin Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos aufnehmen, halten oder züchten.

Für die "Verwandtschaft" zwischen Menschen und Affen haben bereits vor 50 Jahren drei große NATIONAL GEOGRAPHIC-Forscherinnen erste Belege gesammelt: Jane Goodall bei den Schimpansen, Dian Fossey bei den Gorillas und Biruté Galdikas bei den Orang-Utans. Menschenaffen nutzen Gestensprache und Wortsymbole, um Fragen zu beantworten oder Wünsche zu äußern. Zudem sind mittlerweile 30 Arten von Werkzeugen bei Schimpansen bekannt, die sie wie der Mensch nutzen, für den zukünftigen Gebrauch aufbewahren und zur Lösung komplexer Aufgaben einsetzen. Auch dass sie sich ihrer selbst als individuelle Persönlichkeit bewusst sind, wurde in zahlreichen Tests bewiesen.

"Mittlerweile wissen wir: in den Affen steckt so viel Mensch, wie Affe in uns", so NATIONAL GEOGRAPHIC-Redakteur Jürgen Nakott: "Tatsächlich lässt sich aus naturwissenschaftlicher Sicht heute zwischen Menschen und Menschenaffen keine eindeutige Grenze mehr ziehen." Im Durchschnitt bleibt ein genetischer Unterschied zwischen Schimpanse und Mensch von 1,5 Prozent. Die Abweichung im Erbgut von Menschenfrauen und Menschenmännern kann zwei bis vier Prozent betragen. Bei manchen Paaren ist der Mann einem Schimpansenmann demnach sogar ähnlicher als seiner Frau. Aber: "Dürfen wir Menschenaffen dann überhaupt noch in Zoos halten?"

Zu dieser Frage diskutiert NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND auf www.nationalgeographic.de/Menschenaffen und facebook.com/nationalgeographic.de ab sofort mit seinen Leserinnen und Lesern. Informationen über das "Great Ape Project", dessen Zoo-Check sowie die Adressen weiterer Initiativen zum Schutz der Menschenaffen unter www.greatapeproject.de.

Über das GREAT APE PROJEKT

Das international tätige Great Ape Project (kurz: GAP) wird in Deutschland von der Giordano Bruno Stiftung vertreten. Ausgehend von der engen genetischen Verwandtschaft zwischen Menschenaffen (engl. Great Apes) und Menschen und ihrem ähnlich komplexen Geistes- und Gefühlsleben fordert das GAP bestimmte Grundrechte für Bonobos, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans: Das Recht auf Leben, auf individuelle Freiheit sowie auf körperliche und psychische Unverletzbarkeit. Das GAP geht zurück auf das 1993 erschienene Buch "Menschenrechte für die Großen Menschenaffen: Das Great Ape Projekt" (Originaltitel: The Great Ape Project: Equality Beyond Humanity), herausgegeben von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer. Es enthält Beiträge von 34 Autoren, darunter Jane Goodall und Richard Dawkins.

Originaltext: Gruner+Jahr, NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6926 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_6926.rss2

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Wie du und ich: Wieviel Mensch steckt im Affen?

 

von Jürgen Nakott

 

Gerade noch hat Banjo gelangweilt auf dem Boden gesessen, seinen breiten Rücken den Menschen zugewandt, die sich im Stuttgarter Zoo Wilhelma vor seinem Gehege drängeln. Er scheint sich für nichts zu interessieren als für ein Endchen Hornhaut am Nagelbett seines linken Daumens. «Wie öde», murrt ein junger Mann. Er stellt sich dicht hinter den Gorilla und versucht durch Herumfuchteln und Grimassieren, die Aufmerksamkeit des Affen zu erregen. Mit Erfolg: Der 300-Kilo-Koloss wirbelt herum und hämmert mit der flachen Hand gegen das trennende Panzerglas. Es dröhnt, als hätte er einen gigantischen Gong geschlagen. Die Besucher schreien auf und springen zurück. Während sie sich langsam fassen, sitzt Banjo schon wieder mit dem Rücken an der Scheibe und inspiziert seine schwarzen Fingernägel. Jetzt hat er Ruhe. «Hast ja recht», sage ich mir.

 

Das Ereignis liegt einige Jahre zurück. An den Blick, den Banjo den Besuchern über die Schulter zuwarf, erinnere ich mich aber, als wäre es gestern gewesen. «Wieso müsst ihr da draußen euch immer so zum Affen machen?», schien er zu fragen. Mir kam dazu – leicht verändert – der Schlusssatz aus George Orwells „Farm der Tiere“ in den Sinn: «Ich schaute vom Affen zum Menschen und vom Menschen zum Affen und konnte kaum sagen, wer was ist.»

 

Tatsächlich ist es ja so: Je genauer Genetiker und Verhaltensforscher die Großen Menschenaffen untersuchen – Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos – umso mehr schwinden die Unterschiede zwischen ihnen und uns. Das Erbgut von Mensch und Schimpanse, unserem nächsten Verwandten, ist – je nach Analysemethode – zu 93,5 bis 99,4 Prozent gleich. Volker Sommer, Professor für Evolutionäre Anthropologie in London, schreibt in seinem Buch "Menschenaffen wie wir": «Die meisten Forscher nennen eine Übereinstimmung von 98,5 Prozent.» Anders ausgedrückt: Im Durchschnitt bleibt ein Unterschied zwischen Schimpanse und Mensch von 1,5 Prozent. Der Unterschied im Erbgut von Menschenfrauen und Menschenmännern kann zwei bis vier Prozent betragen. Es gibt also Paare, bei denen der Mann einem Schimpansenmann genetisch ähnlicher ist als seiner Frau. 

 

Warum machen wir uns trotzdem so gern über unsere Verwandten lustig? Über den bebrillten Trigema-Schimpansen in der T-Shirt- Werbung. Über den Latzhosenträger „Charly“ in der unsäglichen ZDF-Serie gleichen Namens (seit Mai übrigens abgesetzt). Oder im Schwabenpark Gmeinweiler östlich von Stuttgart. Dort wird eine Gruppe von Schimpansen vorgeführt, denen man beigebracht hat, im Indianerkostüm zu chargieren oder Schuhplattl-Tänze zu imitieren. Rund 200000 Besucher lachen jedes Jahr darüber. Allerdings wohl nicht mehr lange. Denn es formiert sich Widerstand gegen diese Show. Eine wachsende Zahl von Tierrechtlern will nicht länger hinnehmen, dass die Affen «lediglich zur Bespaßung des Menschen dienen», wie es Reinhold Pix, ein Landtagsabgeordneter der Grünen, formuliert.

 

Tun wir ja auch nicht. Doch die Verwandtschaft lässt sich nicht leugnen. Seit 50 Jahren haben drei große Forscherinnen – unterstützt von der National Geographic Society – Belege dafür gesammelt: Jane Goodall bei den Schimpansen, Dian Fossey bei den Gorillas, Biruté Galdikas bei den Orang-Utans. Alles, was die drei an Beobachtungen zusammengetragen haben, wird neuerdings von Genetikern und Hirnforschern bestätigt: Sie sind wie wir.

 

Die genetische Ähnlichkeit, das nachgewiesene Selbstbewusstsein, die Fähigkeit zu denken, zu planen und zu fühlen – das alles sind Gründe, warum immer mehr Biologen, Philosophen und Tierrechtler fordern, den vier Großen Menschenaffen endlich (über)lebenswichtige Grundrechte zu geben.

 

Den Anfang machten zwei Philosophen mit dem "Great Ape Project": 1993 – etwa zu der Zeit, als ich in Stuttgart erlebte, wie Gorilla Banjo die übermütigen Zoobesucher in ihre Schranken wies – forderten die Italienerin Paola Cavalieri und der Neuseeländer Peter Singer in einem Buch, zu dem auch Jane Goodall ein Kapitel beitrug, dass Gorillas, Bonobos, Orang-Utans und Schimpansen einige jener Privilegien erhalten, die bisher nur für Menschen gelten: das gesetzlich verankerte Recht auf Leben, Freiheit und körperliche wie psychische Unversehrtheit. Es soll strafbar werden, schädigende Tierversuche mit Großen Menschenaffen zu machen, sie unter unwürdigen Bedingungen zu halten, sie zu jagen oder ihren Lebensraum zu zerstören. Außerdem sollen ihre Rechte durch Sachwalter eingeklagt werden können – wie bei Menschen, die nicht für sich selber sprechen können.

 

«Seht ihr», rufen die Skeptiker, «wie sollen sie menschenähnlich sein? Sie können ja nicht einmal sprechen.»

 

In Deutschland wird zum Thema der Sprach- und Erkenntnisfähigkeit der Menschenaffen auf höchstem Niveau geforscht, etwa am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Christophe Boesch, der Leiter des Instituts für Primatologie, rät bei der Interpretation solcher Gespräche freilich zur Vorsicht: «Der Forscher muss aufpassen, dass nicht die Phantasie mit ihm durchgeht.» Manche der aufgezeichneten „Dialoge“ könne man auch als zwei Monologe auffassen, die erst in der Auswertung zu Rede und Gegenrede werden.

 

Als wir uns an einem Abend im Februar treffen, steht zwischen uns ein niedriger Tisch, vollgepackt mit Holzstäben: Es sind Werkzeuge, mit denen Schimpansen Honig aus Baumstämmen angeln. Boesch hat sie aus Zentralafrika mitgebracht, wo er und seine Mitarbeiter seit Jahrzehnten die Fähigkeiten von Schimpansen untersuchen. Der 60-Jährige – graue Locken, grauer Schnauzbart, grauer Schal und grauer Pullover – wirkt nach einem langen Arbeitstag am Institut anfangs noch müde und reserviert. Doch es dauert keine halbe Stunde, da erlebe ich ihn ganz anders.

 

Zunächst einmal sind wir aber bei der Sprache. Bei aller gebotenen Sorgfalt in der zwischenartlichen Gesprächsauswertung sei es immerhin unstrittig, dass Menschenaffen die Gestensprache oder Wortsymbole, sogenannte Lexigramme, nutzen, um Fragen zu beantworten oder Wünsche zu äußern. Auch andere Einwände von Skeptikern, die auf dem Unterschied von Mensch und Menschenaffe beharren, lässt Boesch nicht gelten. «Es wird gern gesagt, dass Schimpansen keine Opern komponieren. Na und? Ich auch nicht. Sie etwa?» Ich schüttle den Kopf, und Boesch setzt nach: «Die allermeisten Menschen komponieren oder malen nicht. In dieser Hinsicht überschätzen wir unsere Art gern.

Der Werkzeuggebrauch hatte schon den berühmten Anthropologen Louis Leaky gezwungen, die Abgrenzung von Menschen und Menschenaffen zu überdenken. Als seine Schülerin Jane Goodall ihm erstmals vor 50 Jahren von ihren Beobachtungen erzählte, antwortete er: «Dann müssen wir Werkzeug neu definieren oder den Menschen. Oder wir müssen den Schimpansen als Menschen ansehen.»

 

Weil es den Forschern seiner Generation bei diesem Gedanken unheimlich wurde, legten sie lieber die Messlatte höher. Nun hieß es: Nur Menschen fertigen Werkzeuge vorausschauend, bewahren sie für zukünftigen Gebrauch auf und benutzen zur Lösung komplexer Aufgaben verschiedene Werkzeuge in logischer Folge.

 

Genau das tun Schimpansen aber auch: Sie wählen problemgerechtes Material zur Herstellung ihrer Werkzeuge. Sie transportieren Werkzeug über größere Entfernungen. Sie stellen es in mehreren Arbeitsschritten her. Und sie geben erlernte Fertigkeiten an nachfolgende Generationen weiter. Eine Art von Kulturbildung, die Züricher Anthropologen vor kurzem auch bei Orang-Utans nachgewiesen haben.

Und nicht nur beim Stichwort Werkzeuggebrauch fiel eine Barriere nach der anderen, mit der man versuchte, Menschen von Menschenaffen abzugrenzen. Jane Goodall, die zeitweise im Schimpansen sogar den besseren, weil friedlicheren Menschen sah, musste sich ebenfalls korrigieren: Sie beobachtete die Affen, wie sie Kriege führten und Nachbarclans ausrotteten. Wie der Mensch.

 

Den 59-jährigen Psychologen und Tierrechtler Colin Goldner hatte ich einige Wochen zuvor in seinem Haus in Train besucht, einem Dorf südlich von Regensburg. Von hier aus leitet Goldner die Arbeit der deutschen Gruppe des „Great Ape Project“. Er ist ein vehementer Zookritiker, aber er hatte mich auf Frankfurt aufmerksam gemacht: «Solange wir Menschenaffen noch im Zoo halten müssen, dann am ehesten so wie dort.»

 

Goldner ist eine imposante Gestalt mit schulterlangen goldblonden Haaren. Er holt mich am Bahnhof mit seinem VW-Bus ab. „Butschie“, eine 82 Kilo schwere Dogge, sitzt auf der Rückbank und schnauft mir zutraulich ins Ohr. «Hunde sind die einzigen Tiere, die Menschen halten sollten», sagt Goldner, «sie sind für das Zusammenleben mit uns geschaffen.» Mehrere Jahre hat er selber in Südostasien gelebt und auch die Waldmenschen aus der Nähe erlebt. Die Botschaft, die er mitnahm: «Ohne wirksamen Schutz unserer haarigen Verwandten wird es sie bald nur noch in Zoos geben, als traurige Abbilder ihrer selbst.»

 

«Am wichtigsten ist, dass über unsere Forderung, die Menschenaffen aus ihrem sklavenähnlichen Zustand zu erlösen, heute weltweit ernsthaft diskutiert wird.» Als Durchbruch bezeichnen sie es, dass Großbritannien 1997 medizinische Forschung mit ihnen für „unethisch“ erklärte. Viele Staaten, darunter Neuseeland, die Niederlande, Schweden und Japan, haben solche Forschungen verboten oder ausgesetzt. 2007 sprach das Parlament der Balearen den Menschenaffen die angemahnten Grundrechte zu.

 

Von der Unterstützung durch die renommierte deutsche „Giordano Bruno Stiftung – Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“ erhoffen sich Singer und Cavalieri neuen Schub. Voriges Jahr erhielten die beiden für ihr Projekt den Ethikpreis der Stiftung, der auch Colin Goldner angehört. Goldner hat inzwischen mit einer Handvoll Helfer alle deutschen Zoos begutachtet, die Menschenaffen halten. Auch in der Initiative gegen die Schimpansenshows des Schwabenparks ist er aktiv. Bei aller Kritik ist er aber bereit, Anstrengungen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen anzuerkennen. 

Das ändert aber nichts an den Zielen des „Great Ape Project“: Unsere nächsten Verwandten sollen als solche respektiert werden. Wir Menschen gehen damit den nächsten Schritt in unserer humanistischen Evolution. So, wie wir vom späten 18. Jahrhundert an die Sklaverei allmählich abgeschafft haben. Und dann die „Völkerschauen“, in denen das Publikum, etwa bei Hagenbeck in Hamburg, noch bis 1940 in „anthropologisch-zoologischen Ausstellungen“ Eskimos, Buschmänner oder Kalmücken begaffte. 1948 wurden dann die Menschenrechte weltweit für verbindlich erklärt. In Artikel 1 der Resolution heißt es: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Diese Ethik auf unsere nächsten biologischen Verwandten auszuweiten, ist der nächste logische Schritt, sagen die Affenrechtler – und schreiben die Fortschritte der vergangenen 250 Jahre damit konsequent weiter.

 

Folgerichtig kommt der Evolutionsphilosoph Volker Sommer zu dem Schluss: «Schimpansen – bisher Pan troglodytes – und Bonobos – Pan paniscus – sind uns so ähnlich, dass wir sie unserer Gattung Homo zuordnen sollten.»

Aber dürfen wir Menschenaffen dann noch im Zoo präsentieren? Ich klappe meine Kladde zu, winke Bondo zu und gehe hinüber zu Manfred Niekisch, dem Direktor des Frankfurter Zoos. Wie steht er zu der Forderung nach Grundrechten? Warum hält er noch Gorillas und Orang-Utans?

 

Damit kann ich den 60-Jährigen nicht aus der Ruhe bringen. Gemütlich faltet er die Hände über seiner barocken Mitte, ehe er antwortet: «Wer wollte gegen Grundrechte für Menschenaffen sein? Deswegen sind sie aber noch nicht unseresgleichen. Tiere kennen den Freiheitsbegriff so nicht, sie haben Territorien. Die können auch im Zoo sein.»

«Aber genügt ihnen denn das?»

«Wie misst man das?», erwidert er. «Eingesperrtsein – das ist die menschliche Sicht. Was die Tiere brauchen, sind Nahrung, Beschäftigung, Partner, Sicherheit und Rückzugsmöglichkeiten. Das alles kann ein guter Zoo ihnen bieten, auch die Würde. Wenn unsere Gorillas nicht wollen, können sie sich so zurückziehen, dass kein Besucher sie sieht. Für uns steht das Wohl der Menschenaffen vor der Schaulust der Menschen.» Er ist sicher: «Man kann Menschenaffen so halten, dass sie sich wohlfühlen.»

«Und warum sollte man?»

«Weil sie uns helfen, die Menschen dazu zu bringen, sich für den Erhalt der natürlichen Lebensräume der Menschenaffen einzusetzen. Sie hier zu erleben schafft die notwendige emotionale Nähe und Hilfsbereitschaft.»

«Haben Gorillas und Orang-Utans denn überhaupt noch eine Chance? Bei demnächst mehr als neun Milliarden Menschen, die Anspruch erheben, Boden und Wald auf der Erde für die eigenen Bedürfnisse zu nutzen?»

Da wird der gemütliche Professor sehr energisch: «Ich weigere mich zu akzeptieren, dass es zu spät ist. Menschenaffen im Zoo zu zeigen – unter den besten Bedingungen natürlich – muss einfach dafür genutzt werden, dass die Menschen sich für deren Schutz einsetzen.»

 

«Zu einer artgerechten Haltung gehört es aber», widerspricht Niekisch, «dass wir es den Menschenaffen erlauben, sich zu paaren und Junge aufzuziehen.» – «Einspruch», sagt Boesch. «Artgerechte Haltung von Menschenaffen im Zoo? Geht gar nicht!» Jetzt blitzen seine Augen: «Es gibt gute und es gibt schlechte Gefängnisse, sie bleiben Gefängnisse. Frankfurt und Leipzig sind Luxuszoos, aber Gefangenschaft für Menschenaffen bleibt erniedrigend. Deshalb ist es falsch, dass man das Problem ungelöst lässt, indem man die Reproduktion erlaubt. Empfängnisverhütung ist hier das einzig Richtige.»

 

Es würde dann maximal 60 Jahre dauern, bis der letzte Menschenaffe im Zoo gestorben ist. Und im Zoo müssen sie bleiben, denn in ihre natürliche Heimat können in Gefangenschaft geborene Affen nur sehr selten ausgewildert werden. Deshalb fordert das „Great Ape Project“, ihre Lebensbedingungen in den weniger guten Zoos «deutlich zu verbessern». Betreuung und Beschäftigung dort müssen den aktuellen Erkenntnissen entsprechen. Wer das nicht garantieren kann, darf keine Menschenaffen mehr halten. Die Affen aus den schlechten Zoos, fordert auch Boesch, müssen in artgerechte Refugien umgesiedelt werden. «Chimpheavens, so nennt man sie in den USA. Das kostet Geld, aber das sind wir den Menschenaffen schuldig.»

 

„MAN“, so heißt eine Initiative zum Schutz der Großen Menschenaffen, in der Christophe Boesch ebenfalls aktiv ist, „Manifest für Affen und Natur“. Es ist kein Zufall, dass MAN auch mit Mensch übersetzt werden kann. Ihr Schicksal liegt in unserer Verantwortung.

«Solange wir zulassen», sagt Boesch, «dass Urwälder für Palmölplantagen abgeholzt werden, weil wir Biosprit für unsere Autos brauchen, machen wir uns mitschuldig, wenn der Lebensraum der Menschenaffen schwindet. Solange wir nicht darauf achten, unter welchen Umständen das Tropenholz für unsere Möbel geschlagen wird, ändert sich nichts. Erst wenn wir auf Produkte aus nachhaltigem Anbau drängen, wird der Markt Alternativen zum Raubbau anbieten. Auf die Politiker dürfen wir dabei nicht warten. Die funktionieren wie der Markt. Nur dass die einen der Nachfrage folgen, die anderen dem Druck der Wähler. Also uns. Dem, was jeder Einzelne tut und fordert.»

 

Ihm ist klar, dass zur Rettung von Gorilla und Co nur wenig Zeit bleibt: «Es gibt Gründe, pessimistisch zu sein», gibt er zu. «Aber wollen wir wirklich nur zuschauen? Ich bin lieber Optimist und kämpfe. Wenn man an seine Chance glaubt, dann ergibt sich auch eine.»

 

Darin sind wir uns einig – von Jane Goodall bis zu Colin Goldner, von Manfred Niekisch bis zu Christophe Boesch. Philosophen, Wissenschaftler, engagierte Bürger und National Geographic: Die Großen Menschenaffen sind wie wir. Wir dürfen sie nicht länger zu unserer Belustigung zur Schau stellen. Oder unter unwürdigen Bedingungen in Zoos halten. Und wir müssen alles tun, um die natürlichen Lebensräume ihrer Artgenossen in der Wildnis zu erhalten. Ihnen Grundrechte zu geben, ist dazu ein wichtiger Beitrag.

 

Der Gorilla Banjo würde zustimmend seinen schweren Schädel neigen: «Na also», würde er uns Menschen zunicken. «Geht doch.» 

Die Initiative "Great Ape Project" hat die Haltungsbedingungen in unseren Zoos geprüft. Klicken Sie sich hier zum großen Zoo-Check! 

Dürfen wir Menschenaffen künftig noch in Zoos zur Schau stellen, wenn wir ihnen Grundrechte zuerkennen? Und wie gehen wir mit denen um, die noch in unserer Obhut leben? Diskutieren Sie das Thema hier oder auch auf Facebook unter facebook.com/nationalgeographic.de. Wir freuen uns auf Ihre Meinung!

 

Unterstützen Sie die Forderung nach Grundrechten für die Großen Menschenaffen? Informationen finden Sie beim „Great Ape Project“ unter www.greatapeproject.de

 

Prominente Mitstreiter aus Politik und Wissenschaft finden sich in der Giordano Bruno Stiftung: giordano-bruno-stiftung.de/aufklaerer-werden. Weitere Unterstützer sind: Albert Schweitzer Stiftung (albert-schweitzer-stiftung.de), Menschen für Tierrechte (tierrechte.de) sowie animal public (animal-public.de)

 

Gekürzte Version! Den kompletten Artikel lesen Sie in der aktuellen Juli-Ausgabe von NATIONAL GEOGRAPHIC.

 

National Geographic 7/2012 (hier auch Bildstrecken)

Der Beitrag in National Geographic zeitigte eine Vielzahl an Berichten in weiteren Medien, u.a.

 

Forscher fordern Grundrechte für Menschenaffen. in: Spiegel-online, 25.6.2012

 

Schimpansen: In jedem 3. deutschen Zoo leiden die Menschenaffen unter nicht artgerechter Haltung. in: Bild am Sonntag, 24.6.2012

 

Zoo-Check: Schlechte Bedingungen für Menschenaffen. in: Radio Hamburg, 25.6.2012

 

Keine Menschenaffen mehr in Zoos. in: extrem news, 25.6.2012

 

Great Ape Project kritisiert deutsche Zoos. in: Humanistischer Pressedienst, 25.6.2012

 

Kritik an Haltung der Orang-Utans im Osnabrücker Zoo. in Osnabrücker Zeitung, 25.6.2012

 

Lutz und Alfons wieder wohlauf, aber Ärger wegen 'Bild am Sonntag'-Bericht. in: Wochenblatt Straubing, 25.6.2012

 

Keine Menschenaffen mehr in Zoos? in: Der Standard vom 26.6.2012

 

Weitere Medienberichte und Reaktionen der Zoos hier