KoK-Interview

Wie seit je werden Tiere auch heute noch zur Be-lustigung des Menschen ausgebeutet. Sie müssen zu Sport- und Freizeit-vergnügen jedweder Sorte herhalten, zu Pfer-derennen, Hobbyjagd, Sportangeln, Stierkampf, Rodeo und vielerlei son-stigem Missbrauch im Namen von Kultur, Tradi-tion und Entertainment. Zum weitestverbreiteten und kulturell tiefstver-wurzelten Missbrauch von Tieren zählt ihre Zurschaustellung in Zoos und Zirkussen. Die Tier-rechtsautoren Laura Zodrow und Colin Goldner haben nun ein Buch ge-schrieben, das für tierleidfreie Unterhaltung und Frei­zeitgestaltung plädiert.

 

Interview mit dem Tierrechtspsychologen Colin Goldner

 

Colin, du bist den Leserinnen und Lesern von „KoK" seit langem bekannt durch deine regelmäßige Tierrechtskolumne „rage&reason“. Nun hast du ein Buch über „Tiere in der Unterhaltungsindustrie“ geschrieben. Worum geht es da?

Das Buch habe ich zusammen mit der Sozialwissenschaftlerin Laura Zodrow geschrie-ben. Laura befasst sich seit Jahren mit der Ausbeutung von Tieren in Zirkussen, inso-fern hat sie ebendiesen Part des Buches übernommen, ich selbst den der Zoos. Wir beleuchten aus verschiedenen Blickwinkeln, wie fragwürdig die Argumente sind, mit denen Zirkus- und Zoobetreiber bis heute die Existenz ihrer Einrichtungen rechtferti-gen. Auch wenn in der Haltung der Tiere in den letzten Jahren durchaus Verbesserun-gen vorgenommen wurden – erkämpft in aller Regel gegen den Widerstand der Zoos und Zirkusse selbst –, hat sich am Prinzip des Missbrauchs der Tiere für das Vergnü-gen des Menschen nichts geän­dert.

 

Weshalb habt ihr euch auf Zirkus und Zoo beschränkt? Es gibt doch eine Vielzahl weiterer Formen der Ausbeutung von Tieren zu Unterhaltungs-zwecken…

Ja, das stimmt. Auch das vermeintlich harmlose Kindervergnügen, auf dem Rummel-platz mit einem Pony  im Kreise zu reiten, gehört dazu, desgleich die vermeintlich romantische Kutschfahrt durch Wien oder München; auch Hundeshows mir Agililty, Obedience oder Dogdancing müssen dazugerechnet werden, vom Missbrauch von Pferden für sportive oder sonstige Dressur- und Leistungsshows ganz zu schweigen. Nicht zuletzt dienen auch die weitverbreiteten Hobbies der Aquaristik oder Terraristik ausschließlich dem Spaß und der Freizeitgestaltung ihrer Betreiber: die in Glasbehäl-tern präsentierten Fische, Amphibien oder Reptilien haben, wie auch die in Käfige gesperrten Vögel oder Kleinsäuger, über ihre Funktion als Belustigungsobjekte oder als Dekoelemente des heimischen Wohnzimmers hinaus keinerlei weiteren Wert; ein eigenständiges Daseinsrecht mit dem Recht, ihren Bedürfnissen gemäß zu leben, schon gar nicht. Und wo lernen schon kleine Kinder, dass es völlig normal und richtig ist, Tiere zu Unterhaltungszwecken zu nutzen? Mithin in Zirkussen und Zoos, die inso-fern als primäre Konditionierungseinrichtungen fungieren, die den Boden bereiten für jede andere Form der Unterdrückung und Ausbeutung von Tieren.

Könntest du das etwas näher erläutern?

In der Tat dienen Zoos als Anschauungs- und Lernorte einer als unverzichtbar definierten Grenzziehung zwischen Tier und Mensch - „wir“ diesseits der Gitter und Panzerglas-scheiben, „die anderen“ jenseits -, die es dem Menschen erlaubt, alles, was nicht unter die eigene Spezies zu subsumieren ist, nach Gutdünken zu vereinnahmen, zu nutzen und auszubeuten. Zoos konditionieren Menschen schon in einem frühen Lebensalter darauf, dass es in Ordnung ist, Tiere gefangenzu-halten und zu begaffen, sprich: zu eigenem Vorteil und Lustgewinn zu nutzen. Kinder lernen, immun zu werden gegen das Leid der Tiere, die, eingesperrt auf Lebenszeit und jeder Regung ihres Wesens beraubt, zu bejammernswerten Karikaturen ihrer selbst verkommen. Im erfolgreichsten Falle lernen die Kinder: Zoobesuch macht Spaß!, wozu auch die großangelegten Kinderspielplätze sowie die zoopädagogisch be-treuten Freizeitaktivitäten - Geburtstagsfeiern, Nachtführungen, Malkurse etc.-  und Sonderbespaßungsveranstaltungen an Ostern, Halloween oder Nikolaus beitragen. Im Zirkus nichts anderes: auf der einen Seite der Dompteur mit der Peitsche, auf der anderen der dressierte Tiger, der Männchen macht.

 

Wer hat Interesse daran?

Konditionierungseinrichtungen wie Zirkus und Zoo sind einer Warengesellschaft, die Interesse daran hat, Tiere als zu verwertende Objekte in den Köpfen der Menschen zu verankern, höchst dienlich. Entgegen aller Behauptung geht es den Zoos und Zirkus-sen nicht darum, eine wie auch immer geartete Begegnung zwischen Mensch und Tier zu ermöglichen, vielmehr darum, die Dominanz des Menschen über das Tier heraus-zustellen: der Mensch, so die Botschaft, kann mit dem Tiere verfahren, wie es ihm beliebt.

 

Es zieht sich diese Botschaft, wie ich euerem Buch entnehme, bis in die Speisekarten der Zoorestaurants hinein…

In der Regel entspricht das Angebot der Zoorestaurants in seiner extremen Fleisch-lastigkeit dem einer unterdurchschnittlichen Werkskantine oder Autobahnraststätte. Vegetarische Alternativen finden sich nur selten, ausdrücklich vegane Gerichte gibt es nirgendwo. Neben den üblichen „Currywürsten“ und „Wienerschnitzeln“ fürs Massen-publikum stehen für das gehobenere Portemonnaie auch Wildtiergerichte auf der Karte. Im  Restaurant des Zoos Nordhorn etwa kann der Gast sich Taubensuppe, Hasenpastetchen, Wildschweinpfeffer, Rehmedaillon oder Hirschsteak schmecken lassen. Im Zoo Gelsenkirchen finden sich gar Wildtierexoten auf dem Teller, wie sie im Gehege ums Eck besichtigt werden können: „Rückenfilet vom afrikanischen Spring-bock" etwa. Das Restaurant des Zoos Hoyersverda bot noch kürzlich neben Gerichten aus Straußen- und Antilopenfleisch eine „Massai-Krieger-Platte“ an, die mit „gebrate-nem Fleisch vom Krokodil in grüner Currysauce“ aufwartete.  Auf die Idee, die Zoo-besucher über entsprechende Information und Aufklärung dazu anzuregen, einen auf ganz persönlicher Ebene erlebbaren Beitrag zu Tier-, Natur- und Umweltschutz zu leisten und wenigstens am Tag des Zoobesuches auf den Verzehr getöteter Tiere oder aus Tierprodukten hergestellter Nahrungsmittel zu verzichten, kommt kein einziger der deutschen Zoos, ganz im Gegenteil. Die Botschaft an die Zoobesucher: Tiere können im Zoo ebenso bedenkenlos begafft wie im Zoorestaurant verzehrt werden: es sind ja nur Tiere, die zu ebendiesem Zwecke da sind.

Während Zirkusse sich als Einrichtun-gen gepflegter Familienunterhaltung darstellen, streiten Zoos ab, Freizeit- und Vergnügungsparks zu sein. Wie kommt das?

Allein in Deutschland gibt es 865 Zoos und zooähnliche Einrichtungen. Allesamt argu-mentieren, sie dienten der Erholung stress-geplagter und naturentfremdeter Groß-städter. Und alle bieten neben der simplen Zurschaustellung der Tiere ein mehr oder minder umfängliches Freizeit- und Vergnü-gungsparkangebot. Bei einigen Zoos ist ein Unterschied zu Disneyland kaum mehr auszumachen. Dennoch weisen sie jede Zuordnung zur Unterhaltungsindustrie mit Vehemenz zurück. Das meistgenannte Argument zur Rechtfertigung ihrer Existenz ist die Behauptung, sie trügen zur Bildung der Besucher bei. Als „größte außerschulische Bildungseinrichtungen“ würden sie jährlich zigMillionen Menschen wertvolle Tier- und Artenkenntnisse vermitteln. Tatsächlich vermitteln sie nichts dergleichen. Wie auch sollte man die Information auf einer Tafel, Geparden seien die „schnellsten Landsäuge-tiere, mit Spitzengeschwindigkeiten von über 110 Stundenkilometern“ übereinbringen mit dem Tier, das da einsam und in stereotyp immergleicher Bewegung am Gitter eines wenige Quadratmeter umfassenden Käfigs hin und her läuft? Absurderweise ver-wenden selbst Zirkusse das Bildungsargument: letztlich könnten die Besucher viel über das Wesen von Elefanten, Löwen und Nashörnern lernen, die in der Manege aufträten. Von den rund 430 Zirkusunternehmen, die aktuell durch Deutschland touren, führen fast alle Tiere mit, ein Drittel davon immer noch Wildtiere.

 

Von Zooverantwortlichen ist immer wieder zu hören,  die Zootiere dienten als „Botschafter ihrer Art“. Zoobesucher würden durch das Kennenlernen dieser Tiere für deren bedrohte Artgenossen in der Wildbahn sensibilisiert und folglich für Arten, Natur- und Umweltschutz eintreten.

Diese Behauptung zählt zu den groteskesten Verrenkungen, mit denen Zoos ihre Existenz zu rechtfertigen suchen. Bezeichnenderweise wird weder erklärt, wie genau solcher Transfer vonstatten gehen soll, noch gibt es einen  Anhaltspunkt, worin das neugewonnene Engagement der Zoobesucher zum Schutz von Tieren in freier Wild-bahn denn im Einzelnen bestehen solle. Tatsächlich hat die Zurschaustellung etwa des Eisbären Knut im Berliner Zoo allenfalls die Zookasse zum Klingeln gebracht und vielleicht noch die Plüschtierindustrie angekurbelt, mit Blick auf den Schutz der Arktis und ihrer Bewohner hat sie nicht das Geringste bewirkt. Ebensowenig wurde die fort-schreitende Vernichtung der afrikanischen oder indonesischen Regenwälder aufgehal-ten dadurch, dass seit über hundert Jahren Gorillas und Orang Utans in Zoos zu be-sichtigen sind. Wäre es denn so, wie die Zoos behaupten, müssten sich heute zigMillio-nen Menschen, die als Kinder Zoos besuchten, für den Schutz der Tiere in ihren natür-lichen Heimaten einsetzen.

Was bekanntermaßen ja nicht der Fall ist…

Tatsächlich werden die Zoobesucher den Tie-ren gegenüber nicht sensibilisiert, sondern systematisch desensibilisiert. Mit allen zu Ge-bote stehenden Mitteln suchen die Zoos zu verhindern, dass den Besuchern das Leid der eingesperrten Tiere ins Gewahrsein tritt. Zu-nehmend werden die Tiere in Kulissen prä-sentiert, die dem Besucher vorgaukeln sollen, sie befänden sich in ihren natürlichen Heimaten. Die gefangengehaltenen Tiere haben von den vielfach nur auf die Betonwände aufgemalten Dschungelmotiven über-haupt nichts, auch werden ihre Gehege dadurch nicht größer, dass sie in „zeitgemäß“ ausgestatteten Zoos mit Panzerglas und Elektrozäunen statt mit Eisengittern begrenzt sind.

 

Zoos stellen sich gerne als Einrichtungen angewandten Artenschutzes dar. Ist da womöglich auch nichts dran?

Die Behauptung der  Zoos, der rapide schwindenden Artenvielfalt durch Erhaltungs-zucht bedrohter Arten entgegenzuwirken, hält kritischer Überprüfung nicht stand. Aus deutschen Zoos heraus werden sogenannte Erhaltungszuchtprogramme nur für ein paar wenige Arten betrieben, und für noch sehr viel weniger davon gibt es Auswilde-rungs- oder Wiederansiedelungsprojekte: Alpensteinbock, Bartgeier, Przewalskipferd, Wildesel und ein paar andere, sprich: für einen winzigen Prozentsatz der bedrohten Arten. Und keines dieser Projekte arbeitet so erfolgreich oder erfolgversprechend, wie der Öffentlichkeit weisgemacht werden soll. Für die überwiegende Mehrzahl in Zoos nachgezüchteter Arten ist Auswilderung ohnehin weder vorgesehen noch möglich. Zoos züchten für Zoos nach. Die paar wenigen Auswilderungsprojekte sind reines green-washing. Wirkliches Engagement der Zoos für die bedrohte Tierwelt vor Ort findet sich nur sehr vereinzelt. Die Unterstützung irgendwelcher Projekte in den Herkunftsländern der Zootiere dient in aller Regel nur der Imageaufbesserung. Die einzelnen Zoos weisen „Förderbeträge“ auf, die allenfalls im Promillebereich der hauseigenen Werbe-budgets liegen. Gleichzeitig werden zigMillionen an Steuergeldern für den Bau immer neuer „Erlebniswelten“ und „Disneylandanlagen“ ausgegeben, Gelder, mit denen riesige Schutzgebiete in Afrika oder Südostasien ausgewiesen und damit wirklicher „Artenschutz“ betrieben werden könnten.

In deiner KoK-Kolumne greifst du im-mer wieder religionskritische Themen auf. Wie stehen denn die Kirchen zur Nutzung von Tieren zu Unterhaltungs-zwecken?

Keine Einweihung irgendeines um- oder neu-gebauten Zoogeheges und keine Zirkus-premiere, ohne dass nicht ein Priester seinen Weihwasserwedel schwänge. Der Osna-brücker Bischof Franz-Josef Bode etwa ist ausgewiesener Zoobefürworter, desgleichen sein Hamburger Kollege Stefan Heße, der immer mal wieder Tiersegnungen bei Hagenbeck durchführt und vor den Käfigen der eingesperrten Tiere einen Lobpreis auf die „Schönheit der Schöpfung Gottes“ an-stimmt. Sogenannte „Zirkuspfarrer“ veranstalten eigene Gottesdienste in den Manegen und verteilen gesegnete kleine Kreuze unter den Artisten und Dompteuren, so dass sie vor Unfällen und Angriffen wilder Tiere geschützt sind. Zu den prominentesten  „Paten“ des Circus Krone zählt Ex-Papst Joseph Ratzinger. Auch CSU-Prominenz wie Edmund Stoiber oder Glyphosatminister Christian Schmidt  halten ihre schützende Hand über den Circus Krone. Ein besonders enges Verhältnis zur „Traditionseinrichtung Zirkus“ pflegt CDU-MdB Volker Kauder: lauthals spricht er sich gegen ein Wildtierverbot in der Manege aus. Bezeichnenderweise setzen gerade Politiker der christlich-konservativen Ecke sich bevorzugt für tiernutzende Unterhaltungsbetriebe ein. Angela Merkel etwa engagiert sich seit je für den Zoo Stralsund, vor ein paar Jahren übernahm sie höchstpersönlich die Patenschaft für zwei dort gehaltene Steinadler. Christian Wulff setzte sich in seinen Zeiten als Ministerpräsident Niedersachsens für die Zoos in Osnabrück und Hannover ein, später dann als Bundespräsident für den „Hauptstadt-zoo“ in Berlin; für letzteren hatten sich in ihren jeweiligen Amtszeiten schon Richard von Weizsäcker und Horst Köhler stark gemacht. Auch Wolfgang Schäuble, Norbert Röttgen, Ursula von der Leyen und zahllose andere Unionspolitiker, die ansonsten herzlich wenig für Tiere übrig haben, außer vielleicht auf dem Teller, gelten als be-kennende Tiergartenfreunde: zigMillionen Zoobesucher sind letztlich zigMillionen potentielle Wählerstimmen. Der tiefere Grund für das Faible gerade christlich ange-hauchter Politiker für Zoos dürfte indes in ihrer christlich geprägten Sicht auf das Verhältnis Mensch-Tier zu suchen sein, die ihrerseits determiniert ist durch den bibli-schen Unterjochungsauftrag aus dem 1. Buch Moses, in dem Gott selbst den Menschen befiehlt, „zu herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht“. Wo sonst, außer in Massentierhaltung und Pharmaforschung, würde dieser Auftrag gottgefälliger ausgeführt als in einem Zirkus oder Zoo?

 

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KoK #30, 1/2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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